Einführung der Widerspruchslösung bei Organspenden – Mehrheit im Bundesrat für Initiative aus Nordrhein-Westfalen
Minister Laumann: Widerspruchslösung kann Leben retten – Bundestag muss erneut abstimmen
Auf Initiative von Nordrhein-Westfalen hat der Bundesrat am Freitag, 5. Juli 2024, mit großer Mehrheit eine Gesetzesinitiative zur Einführung der Widerspruchslösung bei Organspenden beschlossen.
Auf Initiative von Nordrhein-Westfalen hat der Bundesrat am Freitag, 5. Juli 2024, mit großer Mehrheit eine Gesetzesinitiative zur Einführung der Widerspruchslösung bei Organspenden beschlossen. Der Entwurf sieht vor, dass zukünftig alle Menschen in Deutschland grundsätzlich als Organspenderin oder Organspender gelten, wenn sie dem nicht widersprechen. Ziel ist, dass die Personen, die der Organspende positiv gegenüberstehen, ihre Entscheidung aber bisher nicht dokumentiert haben, als zukünftige Organspenderin beziehungsweise Organspender erfasst werden. Durch den Beschluss des Bundesrates muss sich der Bundestag erneut mit dem Thema befassen.
Eine Mehrheit der Bevölkerung ist der Organspende gegenüber positiv eingestellt, aber dennoch gibt es eine massive Lücke zwischen gespendeten Organen und Personen, die ein Spenderorgan benötigen. Zum Stichtag 31. Dezember 2023 warteten deutschlandweit fast 8.400 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan, während zugleich im Jahr 2023 nur knapp 2.900 Organe von 965 Personen gespendet wurden. Das bildet sich auch in den Zahlen für Nordrhein-Westfalen ab: Hier warteten zum gleichen Stichtag mehr als 1.800 Menschen auf ein Spenderorgan, während im gesamten Jahr 2023 lediglich 965 Organe von 166 Personen gespendet wurden.
„Die Zahlen bewegen sich seit Jahren auf vergleichbarem Niveau und das ist deutlich zu wenig. Ich bin überzeugt, dass wir in Deutschland keinen Mangel an Menschen haben, die aus Solidarität oder Nächstenliebe nach ihrem Tod Organe spenden wollen. Wir haben aber ein Dokumentationsproblem“, so Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. „Mit der Entscheidungslösung kommen wir hier nicht weiter. Deshalb ist es mir so wichtig, dass sich der Bundestag erneut mit dem Thema beschäftigt und über die Widerspruchslösung abstimmt. Klar ist: Niemand darf zu einer Organspende gezwungen werden. Ich finde aber schon, dass wir die Menschen dazu verpflichten können, eine Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen, denn es ist eine Entscheidung, die Leben retten kann.“
Nordrhein-Westfalen hat den Gesetzentwurf am 14. Juni 2024 gemeinsam mit Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein in den Bundesrat eingebracht. Hamburg und Thüringen sind der Initiative zwischenzeitlich noch beigetreten. Nach der heutigen Beschlussfassung, mit der Minister Laumann gleichzeitig zum Beauftragten des Bundesrates für die Beratung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag und in seinen Ausschüssen bestellt wurde, hat die Bundesregierung sechs Wochen Zeit, zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Anschließend folgt das parlamentarische Verfahren im Bundestag.
Zuletzt hat der Bundestag im Jahr 2020 zum Vorgehen bei der Organspende abgestimmt – mit einer Mehrheit für die Entscheidungs- und gegen die Widerspruchslösung. Mit der anderen Zusammensetzung des Bundestags durch die Wahl 2021 bringt eine erneute Abstimmung eine neue Chance für die Widerspruchslösung.
Der Gesetzentwurf umfasst folgende Punkte:
- Jeder Mensch ist grundsätzlich Organ- oder Gewebespender oder -spenderin, es sei denn, es liegt ein erklärter Widerspruch vor.
- Ein Widerspruch kann im bereits bestehenden Organspende-Register, in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder anderweitig schriftlich dokumentiert werden. Der Widerspruch kann auch mündlich gegenüber Angehörigen geäußert werden. Ein Widerspruch gegen eine Organspende muss nicht begründet werden.
- Wenn eine Möglichkeit zur Organspende besteht, fragen die auskunftsberechtigten Ärzte zunächst beim Organspende-Register an, ob ein Widerspruch vorliegt. Ist das nicht der Fall, holen sie bei den nächsten Angehörigen Informationen darüber ein, ob ein Widerspruch im Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder anderweitig schriftlich dokumentiert ist beziehungsweise mündlich geäußert wurde. Die Angehörigen sind verpflichtet, sich an den Willen der oder des Verstorbenen zu halten und dürfen keine abweichende Entscheidung treffen.
- Liegt bei Minderjährigen kein geäußerter Wille vor und ist ein solcher auch den nächsten Angehörigen nicht bekannt, steht diesen ein eigenes Entscheidungsrecht unter Beachtung des mutmaßlichen Willens der minderjährigen Person zu. Ein Arzt soll die nächsten Angehörigen über eine in Frage kommende Organ- oder Gewebeentnahme unterrichten.
- Bei Verstorbenen, die nicht in der Lage waren, die Tragweite einer Organspende zu erkennen und deshalb keinen Willen abgegeben haben, ist eine Organspende unzulässig. Ob dies der Fall ist, soll ein Arzt, der nicht an der Organspende beteiligt ist, durch Befragung der nächsten Angehörigen klären.
- Die Widerspruchslösung tritt zwei Jahre nach Veröffentlichung des Gesetzes in Kraft. Sechs Monate vor Einführung der Widerspruchslösung sollen alle über 14-Jährigen drei Mal hintereinander über die Bedeutung und die Rechtsfolgen eines erklärten wie eines nicht erklärten Widerspruchs informiert werden. Auch nach Einführung der Widerspruchslösung wird eine kontinuierliche Aufklärung der Bevölkerung sichergestellt, um zu gewährleisten, dass alle Menschen selbstbestimmt über eine mögliche Organ- oder Gewebespende entscheiden können.
Er steht hier zum Download bereit.
Hintergrund
Aktuell gilt in Deutschland die Entscheidungslösung bei der Organspende. Organe und Gewebe dürfen nur dann nach dem Tod entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen nach einer Entscheidung gefragt.
Zahlreiche europäische Länder haben die Widerspruchslösung bereits eingeführt. Deutschland importiert Organe aus diesen Ländern mit entsprechend höheren Spenderzahlen über den Verbund der internationalen Vermittlungsstelle „Eurotransplant".
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