Ministerin Steffens: Wenn lange verdrängtes Leid im Alter wieder aufbricht

Land finanziert Landesfachstelle „Trauma und Leben im Alter“ für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte

7. Februar 2017

Das Land finanziert eine neue „Landesfachstelle Trauma und Leben im Alter“, die ein überregionales Hilfenetzwerk aufbauen, eine Lotsenfunktion für Betroffene übernehmen sowie Anlaufstelle für Informationen und Beratung für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte sein soll.

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Längst vergessen geglaubte oder verdrängte traumatische Gewalterfahrungen, etwa durch Krieg, Flucht oder sexualisierte Gewalt, können im Alter wiederkehren und scheinbar unvermittelt auftauchende Verhaltensauffälligkeiten oder körperliche Leiden auslösen. Oft wird dieser Zusammenhang nicht erkannt und Betroffene, Angehörige aber auch Fachkräfte sind mit der Situation überfordert. Um dem zu begegnen, finanziert das Land jetzt eine neue „Landesfachstelle Trauma und Leben im Alter“, die ein überregionales Hilfenetzwerk aufbauen, eine Lotsenfunktion für Betroffene übernehmen sowie Anlaufstelle für Informationen und Beratung für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte sein soll. Träger des Projekts sind die Vereine Wildwasser Bielefeld und Paula Köln. Die Fachstelle startet mit Anlaufstellen in Köln und Bielefeld.
 
„Oft wird nicht oder erst sehr spät erkannt, dass das Aufbrechen Jahrzehnte zurückliegender Traumata Ursache für Depression, Aggression und körperliche Leiden bei älteren Menschen sein kann. Die neue Landesfachstelle soll dazu beitragen, dass solche Traumata künftiger schneller erkannt und professionelle Unterstützung organisiert wird“, erklärte Gesundheitsministerin Barbara Steffens bei einer Auftaktveranstaltung zum Start der Landesfachstelle. „Gerade wenn Menschen im Alter hilfloser werden und dadurch Situationen erleben, in denen sie sich ausgeliefert fühlen, können frühere traumatische Gewalterfahrungen wieder aufbrechen. Bei der Diagnose von Erkrankungen älterer Menschen werden Jahrzehnte zurückliegende Traumata aber zu oft nicht beachtet“, so Steffens weiter.
 
Wer mit Traumatisierungen bei älteren Menschen vertraut ist, kann Betroffene durch sensible Begleitung dabei unterstützen, die quälenden Erlebnisse zu verarbeiten. Um dazu ein landesweites Hilfe-, Beratungs- und Informationsnetz aufzubauen, finanziert das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) die neue Landesfachstelle „Trauma und Leben im Alter“ mit rund 400.000 Euro.
 
Etwa 40 bis 50 Prozent der Generation, die bis Ende des Zweiten Weltkrieges geboren wurden, berichten über traumatische Erfahrungen aus Zeiten des Krieges durch Bombenangriffe, Flucht und Hungersnot. Besonders bei Frauen spielt zudem sexualisierte Gewalt eine Rolle. Viele Betroffene der älteren Generation haben das Leiden verdrängt, sind damit allein geblieben und verstummt. Denn die quälenden Folgen der Kriegserlebnisse waren lange ein gesellschaftliches Tabuthema. Das gilt in noch stärkerem Ausmaß für sexuellen Missbrauch.
 
Traumafolgen können akute oder auch chronische Erkrankungen und Beschwerden wie Panikattacken, Essstörungen oder Herz-Kreislauferkrankungen sein. Betroffene haben nicht selten ein ausgeprägtes Misstrauen oder Beziehungsängste, so dass sie von Isolation und Vereinsamung betroffen sind. Bei demenzerkrankten Patientinnen kann es beispielsweise auch vorkommen, dass sie Hilfe bei der Körperpflege unter Umständen nicht richtig deuten können und dadurch an eine lang zurück liegende Vergewaltigung erinnert werden. Hierdurch können auch Retraumatisierungen stattfinden.
 
„Wir müssen das Schweigen und Verdrängen durchbrechen, in der älteren Generation besonders beim Thema sexualisierte Gewalt. Ziel ist es, die Gesellschaft für Traumata im Alter zu sensibilisieren, damit sich Betroffene mit ihrem Leid anderen anvertrauen können, denn häufig haben traumatisierte ältere Menschen noch nie mit jemandem über die quälenden Erlebnisse gesprochen. Wir können Betroffene stärken, in dem wir ihr Leid wahrnehmen und ihre Leistung, damit umzugehen, anerkennen. Traumatisierte brauchen Unterstützung, damit sie ihren Ängsten und verdrängten Erlebnissen begegnen können“, betonte die Ministerin.

Hintergrund

Landesfachstelle Trauma und Leben im Alter
  • Die Büros der Landesfachstelle in Westfalen-Lippe (Projektpartner: Wildwasser Bielefeld e.V.) und Nordrhein (Paula e.V. Köln) haben ihre Arbeit bereits aufgenommen und sollen ein überregionales Hilfenetzwerk zum Thema Traumatisierung im Alter aufbauen sowie Anlaufstelle für Informationen und Beratung für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte sein.
  • Das MGEPA fördert das Projekt mit rund 400.000 €.
  • Informationen im Internet: www.trauma-leben-alter.de

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