Ministerin Steffens: Selbstbestimmte Geschlechtsidentität muss selbstverständlich werden

Versorgung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen verbessern, Selbsthilfe fördern, Vernetzung und Kooperationen unterstützen

27. Oktober 2016

Menschen, die sich nicht dem zweigeschlechtlichen Modell „Mann“ oder „Frau“ zuordnen können oder wollen oder ihren Körper ihrem Geschlechtsempfinden anpassen möchten, leiden immer noch vielfach unter Unverständnis und Diskriminierung.

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Menschen, die sich nicht dem zweigeschlechtlichen Modell „Mann“ oder „Frau“ zuordnen können oder wollen oder ihren Körper ihrem Geschlechtsempfinden anpassen möchten, leiden immer noch vielfach unter Unverständnis und Diskriminierung. Laut einer Studie¹ haben etwa 30 Prozent der Transsexuellen in NRW bereits einmal versucht, sich das Leben zu nehmen. Die Befragten der Studie wünschen sich deutlich mehr Akzeptanz und Sensibilität gerade auch im Gesundheitsbereich.

„Selbstbestimmte Geschlechtsidentität muss in unserer Gesellschaft selbstverständlich werden. Aber wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie Körpergeschlecht und Geschlechtsempfinden, also die geschlechtliche Identität, entstehen, sind längst noch nicht überall angekommen. Auch bei Medizinerinnen und Medizinern besteht Fortbildungsbedarf. Damit trans- und intergeschlechtliche Menschen ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben führen können, müssen wir unter anderem ihre Versorgung verbessern, die Selbsthilfe weiter fördern sowie den Austausch zwischen Betroffenen und Fachleuten unterstützen“, erklärte Gesundheits- und Emanzipationsministerin Barbara Steffens heute im Rahmen der Fachtagung „Trans- und Intergeschlechtlichkeit im Gesundheitssystem“ im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf, zu der das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter eingeladen hatte.

Inhalte der Fachtagung waren die aktuellen Entwicklungen bei medizinischen Leitlinien, in der Beratung und in der Forschung. In Gesundheitsberufen Tätige tauschten sich darüber mit Interessierten aus der Selbsthilfe, der Verwaltung und Politik aus.

Prof. Dr. Annette Richter-Unruh, die wissenschaftliche Leiterin der Fachtagung, stellte gemeinsam mit Prof. Dr. Susanne Krege die aktuelle medizinische Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ vor. „Die neue Leitlinie ist zukunftsweisend, weil sie das tradierte Menschenbild von Frau und Mann auflösen möchte. Es ist an der Zeit, angesichts der biologischen Zusammenhänge und der Erlebniswelt von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung neue Wege zu gehen sowie bestehende Sichtweisen zu revidieren“, so Richter-Unruh.

Denn in der Gesellschaft herrscht vielfach noch die Vorstellung von zwei eindeutigen biologischen Geschlechtern vor. Noch immer werden Kinder, deren Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, frühzeitig operiert, um sie einem körperlichen Geschlecht zuzuweisen. Dies geschieht oft auf Drängen der verunsicherten Eltern. Die Operierten erfahren häufig erst im Erwachsenenalter davon und müssen mit zum Teil dramatischen Folgen für ihre körperliche und psychische Gesundheit wie Identitätsstörungen, sexuelle Empfindungsstörungen, Fortpflanzungsunfähigkeit leben.

Transgeschlechtliche Menschen kritisieren vor allem das Transsexuellengesetz (TSG) und leiden unter dem Unverständnis ihrer Mitmenschen. Um eine Namens- und Personenstandsänderung nach TSG zu bewirken, müssen sie dem zuständigen Gericht zwei unabhängige Gutachten von therapeutischen Sachverständigen vorlegen, die die Diagnose „Transsexualität“ bestätigen. Dadurch sehen sich Betroffene als „krank“ abgestempelt. Hinzu kommt, dass der Zugang zu medizinischen Hilfsmitteln und Leistungen oft langwierig ist und ein Ankommen im gefühlten Geschlecht – das sogenannte Passing – erschwert.

„Um die gesundheitliche Versorgung und die Lebenssituation trans- und intergeschlechtlichen Menschen zu verbessern, müssen wir ihre Hilfebedarfe kennen. Wir müssen Ärztinnen und Ärzte und andere im Gesundheitssystem Tätige informieren sowie für die Bedarfe der Betroffenen sensibilisieren. Dazu brauchen wir Kooperationen und Netzwerke zwischen den Fachkräften im Gesundheitssystem und den Selbsthilfeorganisationen“, so Ministerin Steffens.

¹Studie im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter zur „Lebenssituation von Transsexuellen in NRW“, Lesben- und Schwulenverband Nordrhein-Westfalen 2012: www.lsvd.de.

Hintergrund

  • Transgeschlechtlichkeit umfasst verschiedene Transidentitäten. Transsexuelle fühlen sich nicht ihrem biologischen, sondern psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig (zu unterscheiden von der sexuellen Orientierung). Sie bejahen das Zwei-Geschlechtermodell, viele nehmen Hormontherapien und medizinisch-operative Angleichungen in Kauf. Im Unterschied dazu fühlen sich Transgender mit dem Zwei-Geschlechtermodell unzureichend beschrieben, sie leben das soziale Geschlecht anders als das biologische. Darüber hinaus gibt es weitere Transidente, die Selbstbezeichnungen sind vielfältig. Um alle zu erfassen, wird auch das Kürzel Trans* verwendet.
    • Bundesweit gibt es geschätzt 6.000 - 7.000 Transsexuelle
    • In NRW gab es von 1995 bis 2015 rund 4.300 Namens- und / oder Personenstandsänderungen nach dem Transsexuellengesetz.
  • Intergeschlechtlichkeit betrifft Diagnosen, bei denen Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Geschlechtsdrüsen bei einem Menschen nicht ausschließlich männlich oder weiblich sind. Die neue medizinische Leitlinie spricht von „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. Sie umfasst behandlungsbedürftige und nicht behandlungsbedürftige Fälle
    • Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland jährlich etwa 8.000 bis 10.000 intergeschlechtliche Kinder geboren werden. Selbsthilfe-Verbände gehen von deutlich höheren Zahlen aus.
  • Mit dem „NRW-Aktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – gegen Homo- und Transphobie“ setzt sich Nordrhein-Westfalen seit vier Jahren für Vielfalt, Offenheit und Respekt gegenüber Menschen unterschiedlicher sexueller und geschlechtlicher Identität ein. Mit über 100 Maßnahmen in allen gesellschaftlichen Bereichen wird der Aktionsplan umgesetzt. Fast alle Ministerien bringen sich dabei ein. Weitere wichtige Partnerinnen und Partner sind die Eigenvertretungen der LSBTI*-Selbsthilfe.
 

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