Nach Solingen: Landesregierung beschließt umfassendes Paket zu Sicherheit, Migration und Prävention in Nordrhein-Westfalen

Ministerpräsident Wüst: Lassen unseren Worten Taten folgen / Reformpaket gibt zeitgemäße Antworten auf eine neue Gefährdungslage

11. September 2024
Nach Solingen: Landesregierung beschließt umfassendes Paket zu Sicherheit, Migration und Prävention in Nordrhein-Westfalen

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat am Dienstag, 10. September 2024, ein umfassendes Maßnahmenpaket zu den Bereichen Sicherheit, Migration und Prävention beschlossen. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat am Mittwoch, 11. September 2024, den Landtag darüber unterrichtet.

Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat am Dienstag, 10. September 2024, ein umfassendes Maßnahmenpaket zu den Bereichen Sicherheit, Migration und Prävention beschlossen. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat am Mittwoch, 11. September 2024, den Landtag darüber unterrichtet. 

Das Paket umfasst die drei Säulen Sicherheit, Migration und Prävention. Mit ihm werden unmittelbar weitere Handlungsschritte eingeleitet, die unter anderem neue rechtliche Befugnisse für die Sicherheitsbehörden, eine Stärkung des Verfassungsschutzes, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im digitalen Raum sowie einen leichteren Datenaustausch zwischen allen Behörden vorsehen. Zudem beinhaltet der Maßnahmenkatalog die Einrichtung von drei zusätzlichen Asylkammern bei den Verwaltungsgerichten, eine Erweiterung der Zuständigkeit der fünf Zentralen Ausländerbehörden zur stärkeren Unterstützung bei Abschiebungen und die Planung einer weiteren Abschiebehaftanstalt. Präventionsangebote sollen vernetzt, ausgebaut und online angeboten werden und die Präventionsarbeit in Flüchtlingsunterkünften, Schulen und im Justizvollzug ausgeweitet und verbessert werden.

  • 21:41
  • Video: Land NRW

11.09.2024

Ministerpräsident Hendrik Wüst unterrichtet den Landtag

Ministerpräsident Hendrik Wüst: „Nach Solingen haben wir den Menschen in Nordrhein-Westfalen ein konsequentes und besonnenes Handeln zur Sicherung unserer Freiheit versprochen. Mit dem nun beschlossenen Paket lassen wir unseren Worten Taten folgen. In drei Säulen bringen wir Reformen für mehr Sicherheit, mehr Konsequenz in der Migrationspolitik und eine bessere Prävention auf den Weg. Wir stärken unsere Sicherheitsbehörden für den Kampf gegen den Terror im digitalen Raum. Wir setzen auf den Einklang von Ordnung und Humanität bei der Migration. Wir gehen neue Wege in der Präventionsarbeit. Dieses umfangreiche und von allen Ressorts der Landesregierung breit getragene Reformpaket gibt zeitgemäße Antworten auf eine neue Gefährdungslage.“

Stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur: „Der Terroranschlag von Solingen war ein tiefer, schmerzhafter Einschnitt für unsere freiheitliche Demokratie. Es ist vollkommen klar, dass daraus konkrete und rechtssicher umsetzbare Konsequenzen auf allen staatlichen Ebenen folgen müssen. Diese Koalition hat die Kraft und die Entschlossenheit, genau das jetzt umfassend anzugehen und in die Tat umzusetzen.“

Minister des Innern Herbert Reul: „Terroristen und Gefährder dürfen nicht länger unbemerkt kommunizieren und sich im Netz tummeln. Unser Paket ist ein echter Meilenstein. Damit bekommen unsere Sicherheitsbehörden endlich die seit Jahren geforderten Werkzeuge an die Hand, um bei der Erkennung von Gefahren Schritt zu halten.“

Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration Josefine Paul: „Der terroristische Akt von Solingen ist eine Zäsur für unsere offene und freiheitliche Gesellschaft, auf die wir über alle Ebenen hinweg politische Antworten finden müssen. Mit den getroffenen Maßnahmen übernimmt die Landesregierung ihre Verantwortung. Wir haben im Fluchtministerium bereits kurz nach dem Anschlag Maßnahmen umgesetzt, die das Rückführungsmanagement in Nordrhein-Westfalen weiter verbessern. Diesen Weg verfolgen wir als Landesregierung mit den vorgelegten Punkten nun konsequent weiter. Darüber hinaus braucht es in der Migrationspolitik auch bundespolitische Lösungen – unsere Vorschläge bilden für die weiteren Gespräche mit Bund und Ländern eine wichtige Grundlage.“

Die Maßnahmen im Überblick:

Systematische Handlungschritte in den Bereichen Sicherheit, Migration und Prävention

Säule I: Sicherheit

Die Erscheinungsformen des islamistischen Terrorismus haben sich gewandelt. Das zeigt nicht zuletzt der schwere islamistische Terroranschlag in Solingen. Die Bedrohung durch Einzeltäter, die angeleitet oder zumindest durch die Vorgehensweise insbesondere des Islamischen Staates inspiriert sind, nimmt zu. Festzuhalten ist, dass das Internet als Nährboden für ihre Radikalisierung dient und daher gezielt islamistische Propaganda im Internet, insbesondere in den Sozialen Medien, verbreitet wird. 

Die rechtlichen Befugnisse der Sicherheitsbehörden sind deshalb daraufhin zu überprüfen, ob sie der gegenwärtigen Gefährdungslage gerecht werden und - wo nötig - anzupassen. 

Landespolitische Maßnahmen

  1. Einsatz von virtuellen Ermittlern sowie künstlicher Intelligenz zum Internetmonitoring und zur Analyse erhobener Daten

    Das Internet ist ein schier unendlich Raum mit einer unüberblickbaren Anzahl an Informationen. Schätzungen zufolge besteht das Internet aus etwa 550 Millionen Terabytes. Suchen und ermitteln in diesem Datenraum, insbesondere in den Sozialen Medien, wird zunehmend wichtiger. Dafür bedarf es sog. „virtueller Ermittler“, die die sozialen Medien „digital bestreifen“, um die Wahrnehmung der Sicherheitsbehörden im digitalen Raum zu erhöhen, Straftaten vorzubeugen und begangene Straftaten zu ahnden.

    Um der schieren Masse der Daten im Internet zu begegnen, ist darüber hinaus der Einsatz künstlicher Ermittlungsintelligenz notwendig, um die richtigen Schwerpunkte bei der Durchsicht und Bewertung zu setzen. 

  2. Entwicklung technischer Übersetzungsmöglichkeiten mittels KI, insbesondere bezüglich seltener Sprachen oder besonderer Dialekte

    Oftmals stoßen die Sicherheitsbehörden bei ihren „digitalen Streifen“ auf Beiträge, die in seltenen Sprachen oder orts­spezifischen Dialekten verfasst sind. Für diese seltenen Sprachen fehlen in der Regel geeignete Dolmetscher. Hierfür müssen weitere technische Übersetzungsmöglichkeiten - insb. für bspw. szene­relevante Sprachen wie Tadschikisch - mittels KI entwickelt werden.

  3. Zentralisierung und engere Abstimmung bei der Strafverfolgung 

    Die strafrechtliche Verfolgung von illegalen Posts, die in herausgehobenem Maße demokratiegefährdende Äußerungen rassistischen, antisemitischen und islamistischen Inhalts enthalten, soll bei der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) zusammengeführt werden, um die Effizienz der Abläufe zu erhöhen.

    Durch die Einrichtung einer Clearingstelle der Landesanstalt für Medien NRW gemeinsam mit den in Deutschland präsenten Telekommunikationsunternehmen sollen Sperrungen von Netzangeboten mit illegalen Inhalten beschleunigt werden.

  4. Nutzung von Gesichtserkennungssoftware zum Abgleich mit öffentlich zugänglichen Datenbanken

    Die Identifikation einer Person, die in der Realwelt oder im Internet als Gefährder oder sicherheitsrelevante Person aufgefallen ist, ist der Schlüssel zu den weiteren erforderlichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden. Wie das prominente Beispiel der RAF-Terroristin, Daniela Klette, zuletzt gezeigt hat, nutzen Private die bereits zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um einen entsprechenden Abgleich von vorhandenen Daten zu erstellen. Zugunsten des Schutzes der inneren Sicherheit ermöglichen wir den Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen die Nutzung passender Softwarelösungen analog zur beabsichtigen Regelung auf Bundesebene. 

  5. Erleichterung des Datenaustauschs zwischen den Behörden und insbesondere Einführung einer zentralen Übersicht der abzuschiebenden Personen

    Die Diskussion rund um den islamistischen Terroranschlag von Solingen hat exemplarisch gezeigt, dass eine Vielzahl unter­schiedlichster Behörden aus Bund, Land und Kommunen in diesem Sachverhalt involviert waren. Diese organisatorische und insbesondere informationelle Trennung zwischen den jeweils sachlich zuständigen Behörden hemmt bisweilen die Handlungs­fähigkeit und den Informationsfluss. Ein stärkerer wechselseitiger Informationsaustausch liegt insbesondere im Interesse der Sicherheits­behörden und ist, wo dies bislang nicht geschieht, zu ermöglichen. Beispielhaft ist hier zur Verfahrenserleichterung an eine zentrale Übersicht der abzuschiebenden Personen zu denken. Zudem wird die Zusammenarbeit zwischen Verfassungs­schutz, LKA NRW und der Sicherheitskonferenz des MKJFGFI (Siko) weiter intensiviert, bspw. wird die Siko in die Beratungen des Gefahrenabwehrzentrums Terrorismus (GTAZ NRW) beim LKA NRW fallbezogen hinzugezogen. 

  6. Islamistische Prediger/Influencer stärker in den Blick nehmen 

    Die Rolle und der Einfluss von islamistischen Predigern und Influencern für die Radikalisierung von jungen Menschen ist elementar. Um die bereits vorhandenen Erkenntnisse weiter zu verdichten, ist eine landesweite „Islamistischen Prediger-/ Influencer-Datei“ einzuführen, die neue Erkenntnisse generiert oder Erkenntnislücken für die Sicherheitsbehörden schließt. Hierdurch ist nicht nur eine effektive Informationsgewinnung, sondern auch die Initiierung weiterer Maßnahmen und Verfahren der Gefahrenabwehr bzw. Strafverfolgung beabsichtigt.

  7. Rechtliche Befugnisse des Verfassungsschutzes neu justieren

    Auch der Verfassungsschutz ist für die Bewältigung aktueller und zukünftiger Bedrohungslagen moderner und zielgerichteter aufzu­stellen. Das Land Nordrhein-Westfalen wird das Verfassungs­schutzgesetz Nordrhein-Westfalen novellieren und dabei insbesondere folgende Aspekte berücksichtigen:

    • Nutzung der Quellen-Telekommunikations­überwachung

      Für die Sicherheitsbehörden relevante Personen nutzen Messenger-Dienste oftmals unter bewusster Ausnutzung der komplexen Kommunikationsverschlüsselung mit dem Ziel der konspirativen Planung, Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen. Daher soll der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dieselben Befugnisse erhalten wie die Bundesbehörden. Diese Maßnahme unterliegt richtigerweise strengen rechtlichen Voraussetzungen. Es gilt jedoch die Maßgabe: Kein Sicherheitsrückschritt durch technologischen Fortschritt.

    • Anpassung der Regelungen für die Speicherung Daten Minderjähriger 

      Auch Kinder und Jugendliche schließen sich inzwischen terroristischen Vereinigungen an sowie planen und begehen schwere Straftaten. Beschränkungen der Arbeit des Verfassungsschutzes durch die aktuellen Mindestaltersgrenzen für die Speicherung, Veränderung und Nutzung von personenbezogenen Daten gehen deshalb an der Realität vorbei. Die bislang in Nordrhein-Westfalen bestehende Altersgrenze von in der Regel 16 Jahren ist mit Blick auf die vorhandenen Erkenntnisse zu Tätern und Tatverdächtigen nicht mehr praxisnah. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen soll zukünftig regel­mäßig Daten Minderjähriger ab 14 Jahren verarbeiten können.

    • Einführung einer Befugnis zur Durchführung von Funkzellenabfragen und für Übermittlungsersuche an Betreiber von Videoüberwachungsanlagen

      Funkzellenabfragen bieten den Sicherheitsbehörden vielfältige Ermittlungsansätze. Durch dieses Instrument lässt sich bspw. das Kontaktnetzwerk einer Zielperson aufhellen, sodass neue Erkenntnisse generiert werden können. Die Befugnis zur Funk­zellenabfrage für den Verfassungsschutz wird daher gesetzlich normiert und soll der richterlichen Genehmigung unterliegen.

      Darüber hinaus benötigt der Verfassungsschutz geeignete Rechtsgrundlagen, um Übermittlungsersuche an private Betreiber von Videoüberwachungsanlagen in öffentlich zu­gänglichen Bereichen stellen zu können. Die Ausweitung von Videoüberwachung erfolgt inzwischen auch von privater Seite und ist hierbei nicht nur auf Einkaufszentren, Stadien oder den öffentlichen Nahverkehr beschränkt. Mit diesen Daten können effektiv Verbleibskontrollen durchgeführt und Kontaktpersonen identifiziert werden. Die Daten sind nur solange zu speichern, wie sie zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind.

    • Stärkung der Kontrolle des Verfassungsschutzes

      Zur Aufgabenerfüllung benötigt der Verfassungsschutz Befug­nisse, um an sicherheitsrelevante Informationen zu gelangen und Gefahren bereits im Vorfeld von Straftaten aufzuklären. Zu den Grundsätzen eines Rechtsstaats gehört die Kontrolle der Anwendung solcher Befugnisse. Diese Kontrolle findet durch verschiedenste Mechanismen und Institutionen statt. Neben der parlamentarischen Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und die G 10-Kommission hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht auch die gerichtliche Kontrolle in den Fokus gerückt. Wir erkennen diese wichtige Funktion der Kontrolle des Verfassungsschutzes an und wollen diese stärken, indem für die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in der Regel ein Einzel­richter als Vorinstanz vorgesehen und die G 10-Kommission gestärkt wird.

  8. Stärkere Einbindung wissenschaftlicher Erkenntnisse 

    Wissenschaftliche Erkenntnisse über verfassungsfeindliche und demokratiegefährdende Bestrebungen werden für die Arbeit der Sicherheitsbehörden in einer „Koordinierungsstelle Radikalisierungsforschung“ verstärkt nutzbar gemacht. Dies hilft beim Erkenntnisgewinn über Veränderungen der Phänomene, etwa Radikalisierungsprozesse im Internet. Diese Erkenntnisse sollen zielgerichtet an die betreffenden Stellen in den Sicherheits­behörden weitergeleitet und ein Informationsaustausch angeboten werden. 

  9. Stärkung der Vernetzung im Bereich Opferschutz

    Bei dem in Solingen verübten Anschlag war die Opferschutzbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen sofort zur Stelle, hat bereits am Vormittag des Folgetages die Hotline zu dem psychosozialen Beratungstelefon für Betroffene und Angehörige des Anschlags von Solingen geschaltet und die Öffentlichkeit darüber informiert. Für den Erfolg der Arbeit der Opferschutzbeauftragten nach einem Terroranschlag sind insbesondere die Dichte des Netzwerks auch zu Einrichtungen der (lokalen) psychosozialen Notfallversorgung, die unmittelbare Einbindung in die behördlichen Kommunikationsketten, und bürgernahe – auch digital abrufbare – Informationsangebote maßgeblich. Es gilt, diese drei Faktoren flächendeckend im Land zu pflegen und auszubauen.

Initiativen in Richtung Länderkreis/Bund

Bundesratsinitiative zur Stärkung der Terrorismusbekämpfung

Das Land Nordrhein-Westfalen wird sich im Wege einer Bundesrats­initiative für die nachfolgend aufgeführten Änderungen im Strafgesetz­buch, der Strafprozessordnung sowie weiterer Vorschriften einsetzen. Nordrhein-Westfalen bietet dabei im Länderkreis und gegenüber der Bundesregierung seine Unterstützung an, um schnellstmöglich die erforderlichen Anpassungen des Rechts auf den Weg zu bringen.

  1. Aufnahme des Begriffs des gefährlichen Werkzeugs in den Katalog strafbarer Handlungen nach § 89a Abs. 2 StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat)

    Eine tatbestandliche Erweiterung ist erforderlich, um leichter ver­fügbare Tatmittel wie etwa Messer des täglichen Gebrauchs oder Fahrzeuge zu erfassen. Es ist nur konsequent, Vorbereitungs­handlungen, die sich auf solche Tatmittel beziehen unter Strafe zu stellen. Das erfasst bspw. das Unterweisen von zu Terrortaten bereiten Personen im Umgang mit Messern oder das Verschaffen von Fahrzeugen für Attentate.

  2. Strafbarkeit auch bei leichtfertiger Terrorismusfinanzierung (Erweiterung des § 89c StGB)

    Nach derzeitiger Gesetzeslage ist der Nachweis vorsätzlichen Handelns in Bezug auf die terroristische Zweckbestimmung des Finanzmittelflusses erforderlich. Dies wirft insbesondere in den häufig vorkommenden „Spendenfällen“ Nachweisprobleme auf. Mit der vorgeschlagenen Strafbarkeit einer leichtfertigen Begehungsweise würde die Strafverfolgung im Bereich der Terrorismusfinanzierung erleichtert werden.

  3. Neuregelung der Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 StPO

    Eine zeitnahe gesetzliche Neuregelung, die insbesondere bei Taten nach § 224 StGB (gefährliche Körperverletzung) eine Funk­zellenabfrage ermöglicht, ist nach einer Entscheidung des BGH vom 10.01.2024 dringend erforderlich. Eine Funkzellenabfrage ist in Ermittlungsverfahren erforderlich, um an einem Tatort einer terroristisch motivierten Tat agierende tatverdächtige Personen im Zusammenhang mit anderen Beweismitteln zu identifizieren.

  4. Anlassbezogener Zugriff auf Verkehrsdaten unter Ausschöpfung des gesetzgeberischen Spielraums

    Terroristisch motivierten Straftaten geht oftmals eine Planungs- oder Radikalisierungsphase voraus, in der Kommunikation oder Informationsgewinnung über das Internet eine bedeutende Rolle spielt. Die Sicherung von Verkehrsdaten kann für die Sicherheits­behörden entscheidend sein. Eine ausreichende Speicherung von Verkehrsdaten bei den Telekommunikationsanbietern kann nicht nur Straftaten verhindern oder aufklären, sondern hilft, Netzwerke aufzuspüren und konspirativ agierende Täterinnen und Täter zu identifizieren. Der staatliche Zugriff erfolgt nach rechtsstaatlichen Kriterien: Anlassbezogen und nach richterlicher Genehmigung. Nordrhein-Westfalen wird sich daher für die Umsetzung der vom Europäischen Gerichtshof ermöglichten Verkehrsdatenspeicherung für die Sicherheitsbehörden einsetzen.

Säule II: Migration

Wie sich am Beispiel Solingen wie unter einem Brennglas zeigt, leidet das Migrationsrecht nach wie vor unter einer überkomplexen Ausgestaltung, die im Ergebnis einen effektiven Vollzug erheblich erschwert und z. T. sogar unmöglich macht. Es bedarf daher in Gänze einer stärkeren Ausrichtung des Rechtsrahmens auf die Ziele Ordnung, Steuerung, Begrenzung und Humanität. Handlungsleitend muss es dabei sein, dass eine Konzentration auf die Menschen erfolgt, die zu uns kommen, weil sie tatsächlich schutzbedürftig sind. Eine solche Fokussierung kann und soll dann auch signifikant zu der zwingend erforderlichen Entlastung der Kommunen beitragen.

Landespolitische Maßnahmen

  1. Stärkung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur schnelleren Bewältigung der asylgerichtlichen Verfahren

    Im Frühjahr 2024 wurden die asylgerichtlichen Zuständigkeiten für bestimmte Asyl-Herkunftsstaaten in den einzelnen Verwaltungsgerichten gebündelt. Damit ermöglichen wir eine Spezialisierung unserer Verwaltungsgerichte und legen die Grundlage für Synergien zur Bearbeitung von asylgerichtlichen Verfahren. Um die Verfahrensdauern effektiv zu verkürzen und auf diesem Wege auch für die von der Entscheidung Betroffenen zügiger Klarheit über ihren Schutzstatus zu schaffen, müssen die Verwaltungsgerichte aber auch gezielt personell gestärkt werden. Dies soll durch die Einrichtung von drei zusätzlichen Asylkammern erfolgen.

    Die gezielte Verstärkung der Verwaltungsgerichte an den Stand­orten, an denen die meisten Asylverfahren konzentriert bearbeitet werden, ermöglicht, schneller Klarheit zu schaffen: Für die Betroffenen ebenso wie für Behörden.

  2. Ausschöpfen der Regelung des § 47 Abs. 1 a AsylG zur Entlastung der Kommunen (unbefristete Wohnverpflichtung für Asylsuchenden aus sicheren Herkunftsländern)

    Mit dem Ziel einer Fokussierung der Maßnahmen auf tatsächlich schutzbedürftige Personen und zur Entlastung der Kommunen sollen die Möglichkeiten zur Festlegung einer Wohnsitz­verpflichtung in § 47 Abs. 1 a AsylG künftig weiter ausgeschöpft werden. Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 29a) sollen demnach künftig unbefristet verpflichtet werden, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a als offensichtlich unbegründet oder nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungs­androhung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (Ausnahme: Minderjährige und ihre Eltern/Sorgeberechtigten, deren max. Wohnverpflichtung 6 Monate beträgt). In der Praxis in Nordrhein-Westfalen erfolgte bislang nach 24 Monaten eine Zuweisung an die Kommunen.

  3. Personelle Stärkung der ZABen zwecks Ausbau der Unter­stützung von Abschiebungen in NRW durch die ZABen (Rechtsänderung)

    Mit dem Ziel einer deutlichen Entlastung der Kommunen erweitern wir schrittweise die Zuständigkeit der fünf Zentralen Ausländer­behörden zur stärkeren Unterstützung bei Abschiebungen. Hierzu bedarf es einer Änderung der ZustAVO. Zudem müssten entsprechende Mittel über mehrere Jahre im Haushalt zur Refinan­zierung der Aufgabenwahrnehmung durch die ZABen bereitgestellt werden. Die ZABen können Rückführungsmaßnahmen mit eigens hierfür geschultem und routiniertem Personal durchführen und dabei eine größere Professionalität an den Tag legen. Aufgrund der Zuständigkeit für viele Ausreisepflichtige in dem jeweiligen Regierungsbezirk, begleiten die Vollzugsdienstkräfte der ZABen mehrere Rückführungen wöchentlich.

  4. Einführung eines einheitlichen IT-Fachverfahrens der Zentralen Ausländerbehörden (ZAB.NRW)

    Zur Vereinfachung und Beschleunigung des Datenaustauschs unter den ZABen wird derzeit ein strukturiertes Fachverfahren (ZAB.NRW) entwickelt, das als gemeinsame Arbeitsplattform den fünf Zentralen Ausländerbehörden zur digitalen Unterstützung der aufgabenbezogenen Verwaltungs­abläufe zur Verfügung gestellt werden soll. Vorgesehen ist eine Nutzung aller fünf ZABen, deren Anbindung sukzessive erfolgt. Bislang sind die ZABen Bielefeld, Köln und Unna an die Fachanwendung angebunden. Eine Anbindung der ZABen Coesfeld und Essen ist für das 1. Quartal 2025 geplant. Die Einführung geschieht im Einvernehmen mit den ZABen und kann künftig zudem als Monitoring zur Verbesserung von Rückführungsprozessen dienen. Die Kosten werden durch das Land übernommen.

  5. Einführung einheitlicher Software bei den Betreuungs- und Sicherheitsdienstleistenden

    Mit der Einführung einer einheitlichen Software sollen die Datenverwaltung und Arbeitsabläufe effizienter ausgestaltet werden: Alle in Nordrhein-Westfalen mit ausländerrechtlichen Zuständigkeiten betrauten Landesbehörden, die ZABen für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich und externen Dienstleister sollen zukünftig über die eingesetzten Landes­fach­verfahren medienbruchfrei miteinander arbeiten. Ziel ist ein direkter bzw. automatisierter Austausch erhobener und gespeicherter Daten zwischen den Akteuren. Zur Erreichung dieses Ziels und zur Verbesserung sowie Vereinheitlichung des landesweiten Asylprozesses wird die Anschaffung und damit verbunden die Pflicht zur Nutzung eines einheitlichen Fachverfahrens für die Betreuungs- und Sicherheitsdienstleister in den Landeseinrichtungen angeregt.

  6. Maßnahmen zur Steigerung der Erfolgsquote bei Dublin-Überstellungen

    Per Erlass vom 30.08.2024 wurden die an den Dublin-Überstellungen in Nordrhein-Westfalen beteiligten Stellen zur Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen gebeten. In diesem Zuge wurde zugleich Klarheit dahingehend geschaffen, dass alle Möglichkeiten zur Absicherung einer erfolgreichen Überstellung auszuschöpfen sind. Hierzu gehört es u.a., stets zu prüfen, ob ein zweiter Überstellungsversuch unternommen werden könnte sowie ob die Ankündigung einer Überstellung zweckmäßig ist, um ein mögliches Flüchtigsein im Rahmen einer Verlängerung der Überstellungsfrist zu begründen. Zudem werden die Einrichtungsleitung im Hinblick auf ihre Mitwirkung bei Abschiebungsmaßnahmen in die Pflicht genommen. So ist von der Einrichtungsleitung durch geeignete organisatorische Maßnahmen unter Einbeziehung der Dienstleister u.a. sicherzustellen, dass zur Festnahme ausgeschriebene Personen nach ihrer Rückkehr in die Einrichtung sofort telefonisch der ZAB und/oder – sofern außerhalb der regulären Dienstzeiten – der Polizei gemeldet werden.

  7. Überprüfung der Erlasslage zum Komplex „Abschiebungen“

    Zu viele Abschiebungen scheitern an zu komplexen und fehler­anfälligen Verfahren, die oft auch durch Bundesrecht bedingt sind. Das MKJFGFI wird innerhalb der Landeszuständigkeit die gesamte bestehende Erlasslage zum Komplex Abschiebungen einer umfassenden Überprüfung unterziehen. Ziel sind einheitliche, einfache und einfach umsetzbare Verfahren zur Beschleunigung der Verfahren und einer Erhöhung der Erfolgsquote von Abschiebungen. Dazu gehört auch eine konsequente Anwendung von Ausreisegewahrsam und Abschiebehaft.

  8. Planung einer weiteren Abschiebehaftanstalt

    In Erwartung der durch die anderen dargestellten Maßnahmen, insbesondere der konsequenten Anwendung von Ausreisegewahrsam, erwirkten Steigerung des Bedarfs, wird die Schaffung weiterer Haftplätze in den Blick genommen. Dieser Vorlauf erscheint nicht zuletzt mit Blick auf die Dauer der 
    Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten angezeigt.

  9. Zugriff auf An- und Abwesenheitssysteme in Landeseinrichtungen durch ZABen

    Zur Administrierung der An-/ Abwesenheiten von untergebrachten Personen bedienen sich die Unterbringungseinrichtungen sogenannte Anwesenheitssysteme. Diese sollen den ZABen zur Verfügung gestellt werden, um abwesende (ausreisepflichtige) Personen im Vorfeld der Rücküberführung/Überstellung zu identifizieren. Die Bezirksregierungen wurden per Erlass bereits zur Herausgabe der Zugangsdaten für die An- und Abwesenheitssysteme gebeten.

Initiativen in Richtung Länderkreis/Bund

  1. Verbesserte Dublin-Rücknahme Modalitäten (Verwaltungs­vereinbarungen)

    Die Organisation und die Durchführung der Dublin-Überstellungen ist für die Bundesländer aufgrund der schlechten Rahmen­bedingungen und insb. der mangelnden Aufnahmebereitschaft einiger EU-Mitgliedstaaten mit einem enormen Aufwand und erheblichen Belastungen verbunden. Der Bund wird daher im Wege einer Bundesratsinitiative aufgefordert, sich konsequent für die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Dublin-Über­stellungen einzusetzen, insbesondere in Bezug auf die Kooperationsbereitschaft der EU-Mitgliedstaaten. Dies umfasst:

    • Verlängerung der Überstellungsfristen (ggf. gänzliche Dispen­sierung von Fristen).
    • EU-weite Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen zu Rücküberstellungen initiieren.
    • Einwirken auf Airlines, damit mehr Airlines überhaupt Passagiere für Rücküberstellungen mit an Bord nehmen bzw. Airlines mehr Passagiere pro Flug für Rücküberstellungen mit an Bord nehmen.
    • Gesetzliche Verpflichtung aller Airlines, die Flughäfen in Deutschland nutzen, auch Überstellungen vorzunehmen.
    • Organisation, Durchführung und Finanzierung regelmäßiger Charterflüge durch den Bund.
    • Ausweitung von Überstellungen auf dem Landweg.
    • Streichung/Kürzung von Leistungen für Dublin-Fälle.
  2. Anpassung der Zuständigkeit für Dublin-Überstellung (Entlastung ABHen)

    Der Bund als zuständige Stelle hätte die Verbesserung der Dublin-Überstellungsmodalitäten in der Hand, auf die die Länder keinen Einfluss haben. Daher soll zur Entlastung der Kommunen die Durchführung von Überstellungen nach der Dublin-III-Verordnung nicht mehr durch die Ausländerbehörden der Länder, sondern zentral durch den Bund, genauer gesagt durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder eine entsprechende Bundesbehörde organisiert und durchgeführt werden. Bis zu einer zentralen Übernahme der Dublin-Überstellungen durch den Bund trägt das Land weiter zur Entlastung der Kommunen bei.

  3. Einrichtung einer bundesweiten Storno-Plattform für Flug­buchungen (Prüfung)

    Der Bund wird gebeten zu prüfen, inwieweit die Möglichkeit besteht, die bundesweit stornierten Fluggastplätze für weitere Überstellungsmaßnahmen zu nutzen. Die Länder können bei einer Stornierung nur auf die jeweils stornierten Fluggastplätze in ihren Bundesländern zurückgreifen. Eine bundesweite Übersicht existiert bislang nicht. Hierfür müsste aus Sicht von NRW eine zentrale Stelle (z. B. die Bundespolizei) sowie ein dazugehöriges Vertragsreisebüro beauftragt werden, sich um die Erst-Buchung und Folgebuchung zu kümmern. Strukturell eingebunden werden könnten zudem zum Beispiel über die Länder (ZAIPort) oder das gemeinsame Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) beim Bund.

  4. Humanitäre Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen

    Mit funktionierenden EU-Außengrenzverfahren würde sich die Zahl der Dublin-Fälle insbesondere in Deutschland enorm reduzieren. Die EU-Asylreform sieht daher Asylverfahren an den Außengrenzen vor. Daher sollen Bund und EU-Kommission aufgefordert werden, rechtssichere und humanitäre Grenzverfahren an den Außengrenzen zu umzusetzen, mit dem Ziel einer gerechten Verteilung aller Personen, die eine Bleibeperspektive haben, innerhalb der EU.

  5. Überprüfung der Lageeinschätzungen für Herkunftsländer durch die Bundesregierung

    Die Bundesregierung muss regelmäßig für alle Herkunftsländer  prüfen, ob Abschiebungen möglich sind und die dafür erforderlichen und in der Praxis umsetzbaren Voraussetzungen rechtssicher schaffen. Wir erwarten, dass das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 16.07.2024 Eingang in die entsprechenden Lageeinschätzungen findet, um auch differenzierte Einschätzungen zur Sicherheitslage in Teilregionen der Herkunftsländer zu erhalten. Dazu werden wir den Bund im Rahmen einer Bundesratsinitiative auffordern.

    Voraussetzung für eine Abschiebung ist, dass die Person vollziehbar ausreisepflichtig ist. Das ist dann der Fall, wenn das BAMF weder einen Flüchtlingsstatus, noch subsidiären Schutz oder Abschiebeverbote festgestellt hat. Sodann sind die Länder zuständig für die konkrete Rückführung. Die Länder sind an die Entscheidung des BAMF, das sich an den Lageberichten der Bundesregierung orientiert, ohne eigene Entscheidungs­kompetenz gebunden.

  6. Beschleunigte Asylverfahren für Herkunftsstaaten mit Anerkennungsquote unter fünf Prozent

    Asylverfahren von Personen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent müssen beschleunigt werden. Dabei bedarf es eines Automatismus: Für alle Herkunftsstaaten, deren Anerkennungsquote unter fünf Prozent liegt, müssen automatisch formelle und materielle Regelungen gelten, die eine beschleunigte Bearbeitung ermöglichen. Dazu sollte Art. 16a Abs. 3 GG genutzt werden. Der Bund wird daher im Wege einer Bundesratsinitiative aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem beschleunigte Asylverfahren für Herkunftsstaaten mit einer Anerkennungsquote unter fünf Prozent auf diesem Weg erreicht werden. Das individuelle Recht auf Asyl bleibt hiervon unberührt.

  7. Weitere Rücknahmeabkommen

    Wesentliches Hindernis bei der angestrebten Steigerung der Rückführungszahlen bleibt in vielen Fällen die fehlende Kooperationsbereitschaft von Herkunftsländern bei der Rück­übernahme ihrer Staatsangehörigen. Eine Vielzahl von Ausreise­pflichtigen kann nicht abgeschoben werden, weil sich die Herkunftsländer entweder bei der Passersatzpapierbeschaffung oder der Durchführung von Rückführungsmaßnahmen unkooperativ zeigen. Der Bund wird daher erneut aufgefordert, mit relevanten Zielstaaten stabile und praxiswirksame Rahmen­bedingungen, gerade in den wichtigen Bereichen Passersatz­beschaffung und Flugabschiebung zu erreichen.

  8. Schwelle Ausweisungsinteresse absenken für besonders schwere Straftaten

    Es ist nicht vermittelbar, warum Mitglieder krimineller oder terroristischer Vereinigungen sowie deren Unterstützer nicht einfach ausgewiesen werden können. Insbesondere die §§ 57 ff. AufenthG sollten daher um die vorgenannten Tatbestände ergänzt und zudem auf Personen, die als Gefährder eingestuft sind, ausgeweitet werden. Dazu soll der Bund im Wege einer Bundesratsinitiative aufgefordert werden.

  9. Aufhebung der in §62b AufenthG normierten zeitlichen Begrenzung des Gewahrsams und Verlängerung zur Sicher­stellung einer bereits feststehenden Ausreise

    Die Rückführung einer ausreisepflichtigen Person soll nicht daran scheitern, dass die zeitliche Begrenzung des Ausreise­gewahrsams auf 28 Tage greifen würde, eine zeitnah erfolgende Ausreise des Ausreisepflichtigen nach Ablauf dieser Frist jedoch erreichbar erscheint. Die Bundesregierung soll im Wege einer Bundesratsinitiative aufgefordert werden, dies gesetzlich abzusichern.

  10. § 73 AufenthG: Schaffung der Möglichkeit für die Bundes­polizei, bei Gericht selbst einen Antrag auf Ausreise­gewahrsam stellen zu dürfen

    Die Absicherung von Rückführungsmaßnahmen durch das Instrument des Ausreisegewahrsams darf bei Einsätzen der Bundespolizei nicht an Zuständigkeitsfragen bei der Beantragung scheitern. Über eine Bundesratsinitiative soll der Bund zu einer Anpassung von § 73 AufenthG aufgefordert werden.

  11. Abschiebung von Straftätern mit syrischer und afghanischer Staatsangehörigkeit.

    Nach Verbüßung ihrer jeweiligen Strafe sind Straftäter mit syrischer und afghanischer Staatsangehörigkeit unter Nutzung aller hierfür erforderlichen Handlungsmöglichkeiten unverzüglich abzuschieben. Wir erwarten, dass die Bundesregierung von dieser Handlungsoption nunmehr beständig Gebrauch macht.

  12. Verlust des Schutzstatus bei Reise ins Heimatland und Wiedereinreisesperre

    Sofern anerkannte Schutzsuchende Reisen ins Herkunftsland antreten, die jenseits der Notwendigkeit der Erfüllung sittlicher Pflichten liegen , erfolgt die Aberkennung des Schutzstatus. Dieser auch von der Bundesregierung verfolgte Ansatz ist konsequent einzuhalten. Für ukrainische Geflüchtete sind Ausnahmen erforderlich.

  13. Schaffen einer bundesweiten, behördenübergreifend nutz­baren Datenbank zu Identitäten und Aufenthaltsorten und Vernetzung von Behörden

    Der Informationsfluss der verschiedenen beteiligten Behörden auf Bundes-, Landes- sowie der kommunalen Ebene ist essentielle Bedingung für die reibungslose Durchführung von Überstellungen und Abschiebungen. Wenn bei allen Beteiligten die maßgeblichen Informationen zur Identität und zum Aufenthaltsort der von einer entsprechenden Maßnahme betroffenen Person zeitgleich vorliegen, gewährleistet dies ein besseres Ineinandergreifen der einzelnen Verfahrensschritte.

    Unerlässlich ist insoweit auch eine enge Vernetzung des BAMF mit der Bundespolizei: Die im Rahmen einer standardmäßig durchzu­führenden, vollständigen erkennungsdienstlichen Behandlung gewonnenen Daten sollen auch von den Ausländerbehörden abgerufen werden können.

    Die Bundesregierung soll im Wege einer Bundesratsinitiative aufgefordert werden, die über eine behördenübergreifend nutzbare Datenbank abzusichern.

Säule III: Prävention

Nach bisherigen Erkenntnissen ist bei der Tat von Solingen ein islamistischer Hintergrund anzunehmen. Der Täter ist nach bisher öffent­lichen Informationen vorher nicht polizeilich auffällig gewesen. Eine zügige Radikalisierung weitgehend im Verborgenen ist kein Einzelfall. Die Orte der Radikalisierung junger Menschen sind vielfältig und das Tempo der Radikalisierung nimmt rasant zu – so die übereinstimmenden Er­kenntnisse von Wissenschaft und Verfassungsschutzbehörden.

Vor diesem Hintergrund kommt der Prävention von islamistischer Radikalisierung eine zentrale Rolle zu, auch im Sinne einer möglichst frühzeitigen Intervention. Hierzu sollen in einem ersten Angang auf den folgenden Feldern Maßnahmen ergriffen oder verstärkt werden:

Landespolitische Maßnahmen

  1. Allgemeine Präventionsangebote vernetzen, ausbauen und online anbieten 
    • Ausbau bestehender Präventionsangebote um Online-Komponente

      Die neue Live-Chatfunktion des Wegweiser-Programms ermöglicht es Ratsuchenden, anonym und vertraulich Beratung von Expertinnen und Experten zu erhalten. Gleichzeitig bietet die Initiative Hilfsangebote für Familienangehörige, Lehrkräfte, Vereine oder Verbände, denen Veränderungen auffallen oder die Hilfe bei der Einordnung benötigen. Wegweiser soll zudem noch aktiver dort eintreten, wo islamistische Propaganda verbreitet und der Nährboden für Radikalisierung geschaffen wird, also vor allem in sozialen Netzwerken.

    • Landesweites Kompetenz- und Beratungsnetzwerk etablieren

      Durch Sensibilisierung, Qualifizierung und Vernetzung von pädagogischen Fachkräften sollen in Kommunen / Jugendamts­bezirken Ansprechpersonen aus dem Bereich des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes etabliert werden, die in Fragen der Prävention des Islamismus kompetent beraten bzw. weitervermitteln können. Das Leitziel ist der Aufbau eines dezentralen landesweiten Kompetenz- und Beratungs­netzwerks mit Spezialisierungen auf neuen Phänomenbereichen. Die Themen „islamistische Radikalisierung im Jugendalter“ und „islamistische Ansprachen im Netz“ sollen bei der Weiterentwicklung des bisherigen Angebots im Mittelpunkt stehen. Gerade aufgrund der immer früher stattfindenden Radikalisierung ist die Professionalisierung und Vernetzung Fachkräfte elementar.

  2. Aufklärung und Information über Islamismus im öffentlichen Raum
    • Informationsportal ausbauen

      Das von der Stabsstelle „Prävention gegen Antisemitismus, politischen und religiösen Extremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit“ betreute Internetportal „Gegen gewaltbereiten Salafismus. Informieren. Helfen. Gegensteuern“ informiert über gewaltbereiten Salafismus und dessen thematische Hintergründe sowie über die vielfältigen Präventionsangebote der Landesregierung zum Thema Salafismus- und Islamismusprävention. Angesichts der zunehmenden Dringlichkeit soll das Informationsangebot ausgebaut werden, vor allem auch im Hinblick auf Auffindbarkeit und Zugänglichkeit.

  3. Prävention in Flüchtlingsunterkünften und für Flüchtlinge
    • Angebote zur Sensibilisierung, Fortbildung, Beratung und Unterstützung für Mitarbeitende in Unterbringungs­einrichtungen

      Für den Fall einer möglichen islamistischen Radikalisierung, möglichen Zuwendung zu einer islamistischen Ideologie oder bei Distanzierungsprozessen einer Person braucht es Hilfestellung für die Mitarbeitenden in den Einrichtungen. Die entsprechenden Angebote hierzu sollen dementsprechend evaluiert und anhand aktueller Wissensstände weiterentwickelt werden. Auf diese Weise können bereits frühzeitig im Landesaufnahmesystem ebenso wie in kommunalen Unterbringungseinrichtungen mögliche Radikalisierungstendenzen identifiziert und mit Hilfsangeboten interveniert werden.

    • Weiterentwicklung der Integrationsarbeit für junge geflüchtete Menschen

      Integration, Beschäftigung, Teilhabe und Perspektive reduzieren Angriffsfläche für Radikalisierung. In den Programmen der Demokratiebildung und der Sozialen Beratung, die sich speziell an junge Geflüchtete richten, soll künftig auch ein Fokus auf die Extremismusprävention gelegt werden. Deswegen soll bei der Weiterentwicklung der Förderung von Projekten die Prävention vor und Intervention bei einer beginnenden Radikalisierung im Mittelpunkt stehen. Das Angebot soll stabilisiert werden. Dies gilt auch für Programme zur Förderung der ehrenamtlichen Strukturen in den Kommunen. Die besondere Nähe bei der Aufnahme oder bei der Behandlung von Belastungen oder Traumatisierungen erleichtert eine frühe Erkennung von Radikalisierungstendenzen.

  4. Extremismusprävention in der Schule
    • Mehr Fachkräfte und Fortbildung für systemische Extremismusprävention

      Im Rahmen von „SystEx“ sollen die schulpsychologischen Beratungsstellen bei allen Fragen rund um Radikalisierung, Extremismus und Gewalt noch intensiver unterstützt werden. Außerdem sollen mehr Lehrkräfte zu Beratungslehrkräften ausgebildet werden, die in ihren Schulen beratend tätig werden und bei Bedarf professionelle Hilfe vermitteln können. Mit mehr Fachpersonal und zusätzlichen Schulungen des bestehenden Lehrpersonals über Radikalisierungsformen und über die Instrumentalisierungspunkte des Islamismus bei der Religion des Islams soll das System Schule breiter und zielgerichteter auf Radikalisierungstendenzen reagieren können.

    • Demokratiebildung stärken 

      Wenn Schülerinnen und Schüler demokratische Werte kennenlernen, verinnerlichen und im Alltag leben, bietet dies einen guten Schutz gegen Radikalisierung autoritärerer Ideologien. Maßnahmen zur Stärkung der Demokratiekompetenz der Schülerinnen und Schüler sollen intensiviert werden. Damit einher geht die Stärkung von Beteiligung und Mitbestimmung im Schulsystem. Ein wichtiger Baustein in diesen Prozessen ist die engere und frühzeitige Einbindung der Eltern, zum Beispiel in Familiengrundschulzentren. Der Grundstein für eine starke Identifikation mit unserem demokratischen Gemeinwesen ist die Vermittlung von Wissen und Wertschätzung für demokratische Prozesse im Bildungssystem.

    • Hilfestellung für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte im Umgang mit Ereignissen und Entwicklungen auch im Kontext Islam

      Um Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte für die Konfrontation mit Ereignissen und Entwicklungen im Kontext Islam vorzubereiten, sollen die von MKJFGFI, MKW und IM entwickelten Informationsangebote ausgeweitet und fortentwickelt werden. Sie informieren einerseits sachlich über den Unterschied von Islam und Islamismus sowie über Islamfeindlichkeit, andererseits werden den Fachkräften pädagogische Interventionsmöglichkeiten sowie Präventionsmaßnahmen vorgestellt. In Vorträgen und Workshops werden verschiedene thematische Schwerpunkte behandelt, u.a. Lagebild Islamismus in NRW, Entwicklungen der islamistischen Online-Propaganda auf Sozialen Medien seit dem 7. Oktober 2023. Die Informationsreihe wird im Jahr 2025 fortgeführt und inhaltlich weiterentwickelt.

      Mit der Erweiterung des NewscheckNRW um einen Themenschwerpunkt Soziale Medien sollen Lehrerinnen und Lehrer in diesem sensiblen Bereich der Nachrichtenkompetenz fortgebildet werden, um mit den Schülerinnen und Schülern noch stärker in den proaktiven Austausch treten zu können.

      Im Nachgang zum Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 wurde den Schulen Material zur Verfügung gestellt, um den Nahostkonflikt stärker als bisher zu thematisieren. Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung dieses Konflikts für Schülerinnen und Schülern mit muslimischem Hintergrund oder regionaler Herkunft soll die Problematisierung im Schulunterricht intensiviert werden. Ziel ist es, sichere Räume für den Austausch hierzu zu schaffen.

  5. Stärkung der Radikalisierungsprävention im Justizvollzug
    • Mehr Personal zur Radikalisierungsprävention im Justizvollzug

      Radikalisierung macht nicht vor den Gefängnismauern halt. Daher müssen bestehende Programme zur Prävention und Bekämpfung politisch und religiös motivierter extremistischer Bestrebungen von Gefangenen intensiviert werden. Dies erfordert eine personelle Verstärkung des Justizvollzugs bei den Fachdiensten der Sozialarbeit sowie in der Gruppe der Abteilungsbeamtinnen und -beamten, die im täglichen unmittelbaren Kontakt zu Gefangenen mit einem erhöhten Radikalisierungsrisiko stehen. Zugleich werden zusätzliche Stellen für Beamtinnen und Beamte im allgemeinen Vollzugsdienst geschaffen, die gezielt in Bereichen mit erhöhten Radikalisierungsrisiko eingesetzt werden, um religiösen oder politischen Extremismus frühzeitig wahrzunehmen.

  6. Extremismus und Islamismus im Internet bekämpfen
    • Einsatz von KI-Instrumenten zur Bekämpfung von Hass­rede und Gewaltverherrlichung ausweiten 

      Dank des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz durch die Landesanstalt für Medien NRW können inzwischen deutlich mehr rechtswidrige Inhalte in Sozialen Netzwerken identifiziert und der Strafverfolgung zugeführt werden. Mit dem Aufbau arabischer Sprachkompetenz und der Ausweitung der entsprechenden technischen Infrastruktur (KiVi) soll die Schlagkraft der Strafverfolgung deutlich erhöht werden.

    • Regulierungsrahmen effektiver ausgestalten 

      Der Digital Services Act (DSA) ist erst kürzlich in Kraft getreten und muss sich in der Praxis bewähren. Schon jetzt ist aber klar, dass das Phänomen des Coordinated Unauthentic Behavoir (CIB) von den Plattformen nicht effektiv angegangen wird. Die EU-Kommission denkt hier bereits an eine Verschärfung, ist bisher aber nicht konkret geworden. Ein Verbot von CIB setzt nicht an konkreten Inhalten an, sondern an Verbreitungsmechanismen, die die Wirkung gefährlicher Posts vervielfachen. Vor diesem Hintergrund wird die EU-Kommission aufgefordert, den Digital Services Act im engen Austausch mit den Mitgliedstaaten und den Ländern in Deutschland auf Schlupflöcher hin zu überprüfen und anzupassen. Dazu gehört insbesondere ein Verbot von so genanntem CIB, mit dem illegale bzw. legale aber radikalisierende Inhalte maschinell extrem beschleunigt verbreitet werden.

    • Anbieter in die Pflicht nehmen

      Viele Inhalte sind gefährlich, aber nicht illegal, sondern von der Meinungsfreiheit geschützt. Noch mehr befindet sich strafrechtlich im Graubereich. Umso wichtiger ist es, dass die Plattformen selbst auch Verantwortung übernehmen.

      Es soll auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der sozialen Netzwerke in Deutschland hingewirkt werden, mit der sie sich dazu bereit erklären, stärker gegen Hass, Hetze und Desinformation im Netz vorzugehen.

  7. Prävention kreativ und digital vermitteln  
    • Stärken von Games zur Prävention nutzen

      Mithilfe von Computerspielen können gerade junge Zielgruppen besser erreicht werden. Das Spiel „Leons Identität“ wurde zur Prävention im Bereich Rechtsextremismus in Kooperation von Staatskanzlei/Medienressort und des Verfassungsschutzes/IM finanziert und extern entwickelt. Gleiches soll nun auch im Bereich Islamismus-Prävention in Angriff genommen werden.

    • Prävention mit Content Creatorn und Influencern

      Der Einfluss von Content Creatorn und Influencern auf junge Zielgruppen ist beträchtlich. Sowohl hinsichtlich der Reichweite als auch der Glaubwürdigkeit haben Content Creator einen oft singulären Zugang. Zur Sensibilisierung für die Mechanismen von Desinformation und die Strukturen und Intentionen, die dahinterstehen, wird die Kooperation mit Influencern und Content Creatorn angestoßen. Im Rahmen einer fokussierten Kampagne sollen Kurz-Filme/Clips für eine kreative und zielgruppenorientierte Aufklärungsarbeit erstellt werden. 

    • #DigitalCheckNRW ausweiten

      Der #Digitalcheck als Ankerprojekt der Landesregierung zur Förderung von Medienkompetenz ist bereits in fünf Sprachen verfügbar (Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch und Russisch) und wurde zuletzt um spezielle Module zu Künstlicher Intelligenz und Desinformation ergänzt. Das Angebot sollte durch gezielte massive Werbeaktivitäten noch bekannter gemacht werden und soll auch inhaltlich für den Bereich Radikalisierung noch weiterentwickelt werden.

Initiativen gegenüber dem Bund

  1. Programm „Demokratie leben“ mit ausreichend Finanzmitteln ausstatten

    Gemäß dem Förderaufruf (Juli 2024) im Programmbereich Landes-Demokratiezentren im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ (BMFSFJ) stehen der Stabsstelle/LKS in der neuen Förder­phase 2025 bis 2032 Mittel in Höhe von jährlich rd. 2.800.000 Euro zur Verfügung. Damit wurde die befürchtete Mittelreduktion für NRW in Höhe von rd. 390.000 Euro im Vergleich zur aktuellen Zuwendungssumme final bestätigt. Angesichts des Terror­anschlags in Solingen und den daraus folgenden Mehrbedarf an Präventions- und Qualifizierungsmaßnahmen gegen Muslim­feindlichkeit/Rassismus fordert die Landesregierung eine Rück­nahme der Mittelkürzungen im Bereich des BMFSFJ durch die Bundesregierung. Die Kürzung der Bundesmittel führt zu Einschnitten bei Präventions- und Qualifizierungsmaßnahmen, für die ein dringender Bedarf besteht.

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