Europäische Staatsanwaltschaft übernimmt Ermittlungen betreffend Taten zum Nachteil des EU-Haushalts
Die Justiz NRW ist zentraler Partner bei Errichtung und dem operativen Betrieb
Am 1. Juni 2021 beginnt der Praxistest für eines der ambitioniertesten Projekte der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union: Die Europäische Staatsanwaltschaft führt nun die Ermittlungen betreffend Taten zum Nachteil des EU-Haushalts.
Am 1. Juni 2021 beginnt der Praxistest für eines der ambitioniertesten Projekte der strafrechtlichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union: Die Europäische Staatsanwaltschaft führt nun die Ermittlungen betreffend Taten zum Nachteil des EU-Haushalts. Dazu gehören nicht nur kriminelle Handlungen, mit denen zu Unrecht Subventionen oder Aufträge der Europäischen Union erschlichen werden, sondern auch Straftaten, die darauf gerichtet sind, die Einnahmen der Europäischen Union zu verringern. Neben Zolldelikten betrifft dies vor allem Umsatzsteuerbetrug, der derzeit enorme Schäden für die Haushalte der Mitgliedstaaten und den der EU verursacht. Allein in diesem Bereich schätzt die EU-Kommission die Schäden durch kriminelle Organisationen im mittleren zweistelligen Milliardenbereich jährlich ein.
Minister der Justiz Peter Biesenbach: „Mit dem Zentrum Köln haben wir in Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Standort der Europäischen Staatsanwaltschaft. Die Justiz NRW hat der EuStA bereits die für ihre Arbeit notwendige Infrastruktur vollumfänglich zur Verfügung gestellt. Ich wünsche der EuStA einen guten Start.“
Aufbau
Seit November 2019 wird die Europäische Staatsanwaltschaft als Behörde in Luxemburg aufgebaut. Leiterin ist die ehemalige rumänische Chefkorruptionsermittlerin Laura Kövesi als Europäische Generalstaatsanwältin. Ihr zur Seite stehen in der Zentrale 22 Europäische Staatsanwälte, die die Ermittlungen in den Mitgliedstaaten beaufsichtigen und die kriminalpolitischen und administrativen Akzente setzen. Die eigentliche Ermittlungstätigkeit obliegt dagegen den insgesamt 140 Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in den 22 Mitgliedstaaten.
Das Besondere an diesem Aufbau ist, dass die Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zugleich auch weiterhin Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ihres Mitgliedstaates bleiben. Dabei sind sie organisatorisch in die nationalen Strafverfolgungsbehörden integriert und werden von diesen mitgetragen, unterliegen jedoch fachlich ausschließlich der Aufsicht und den Weisungen der Europäischen Staatsanwaltschaft. Sie führen ihre Ermittlungen nach nationalem Strafprozessrecht, klagen vor nationalen Gerichten an und nehmen wie nationale Staatsanwälte an der Hauptverhandlung teil. Zudem sind die Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte EU-weit vernetzt. Die bislang oftmals schwierige und zeitraubende grenzüberschreitende Zusammenarbeit gehört für sie der Vergangenheit an; Ermittlungsaufträge an Kolleginnen und Kollegen in einem anderen Mitgliedstaat werden über die Zentrale übermittelt und umgehend erledigt.
Partner Justiz NRW
Nordrhein-Westfalen hat sich einmal mehr als starker Partner der EU und Standort internationaler Justiz gezeigt: Gemeinsam mit den Ländern Bayern, Berlin, Hamburg und Hessen hat das Land eine führende Rolle bei der notwendigen innerstaatlichen Umsetzung der EU-Verordnung über die Europäische Staatsanwaltschaft übernommen. Die insgesamt 11 Delegierten Europäischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind in fünf operativ tätigen Zentren in Berlin, Frankfurt, Hamburg, München und eben auch im Gebäude des Oberlandesgerichts in Köln angesiedelt. Dazu stellt der IT-Dienstleister der Justiz-NRW die Einrichtung der notwendigen IT-Infrastruktur der Delegierten Europäischen Staatanwältinnen und Staatsanwälte und damit das technische Rückgrat der operativen Ebene der EUStA in Deutschland. Nicht zuletzt dank der umfänglichen Unterstützung durch die Justiz NRW konnten die organisatorischen und administrativen Vorbereitungen rechtzeitig zum Start abgeschlossen werden, so dass zum 1. Juni 2021 ein neues Kapitel der europäischen Strafverfolgung aufgeschlagen wird, das international bislang einzigartig ist.
Mit Dr. Sebastian Trautmann konnte eine auf dem Gebiet der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit sehr erfahrende Person für die EuStA gewonnen werden. Als Delegierter Europäischer Staatsanwalt schließt er nahtlos an frühere Tätigkeiten im Bereich der Strafrechtshilfe im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und zuletzt im Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen an.
Historie
Bereits seit Anfang 2000 gab es erste Überlegungen zur Errichtung einer unabhängigen europäischen Staatsanwaltschaft, mit der der EU-Haushalt und damit die Beiträge der europäischen Steuerzahler besser geschützt werden. Für den mittelfristigen Finanzrahmen der Jahre 2021 – 2027, der auch den Corona-Strukturfond „NextgenerationEU“ umfasst, sind jährlich circa 260 Milliarden Euro vorgesehen, für deren effektive Kontrolle eine unabhängige Strafverfolgungsbehörde unabdingbar ist.
Mit dem Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 wurde für die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft in Art. 86 AEUV eine rechtliche Grundlage geschaffen. Nach mehrjährigen Verhandlungen einigten sich schließlich Rat und Europäisches Parlament auf die Verordnung 2017/1939 über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, die zum 20.11.2017 in Kraft trat. Nicht alle EU-Mitgliedstaaten nehmen an der Europäischen Staatsanwaltschaft teil: Dänemark, Irland, Polen und Ungarn werden in absehbarer Zeit nicht Mitglied der Europäischen Staatsanwaltschaft; Schweden bereitet den Beitritt gerade vor.