Ministerin Scharrenbach: Nach länderübergreifender Kontrollaktion – Alle sechs kontrollierten Sammelunterkünfte werden geschlossen
Nach der ersten länderübergreifenden Kontrollaktion von sechs Sammelunterkünften am 12. und 13. Februar 2022 haben die deutschen und niederländischen Behörden ihre Auswertung abgeschlossen.
Nach der ersten länderübergreifenden Kontrollaktion von sechs Sammelunterkünften am 12. und 13. Februar 2022 haben die deutschen und niederländischen Behörden ihre Auswertung abgeschlossen. Wegen erheblicher Verstöße gegen Bauvorschriften werden alle sechs kontrollierten Sammelunterkünfte in Geldern und Emmerich bis auf weiteres geschlossen. Das Ergebnis der Kontrollen zeigt erhebliche Mängel und Rechtsverstöße unter anderem bei Wohnqualität, Überbelegung und Hygienevorschriften. Zudem werden Strafverfolgungsbehörden aufgrund der ausbeuterischen Mietverhältnisse und der Gefahren für Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner in Teilen der Unterkünfte eingeschaltet.
„Ausbeuterische Wohn- und Arbeitsverhältnisse haben in Nordrhein-Westfalen keinen Platz. Nach der durchgeführten Kontrollaktion greifen wir jetzt gemeinsam mit den Kommunen durch und schließen alle sechs kontrollierten Sammelunterkünfte. Die Gründe der Schließungen sind die bauordnungswidrige Nutzung der Wohngebäude zu Beherbergungszwecken und die schlechte Instandhaltung, die zum Teil die Bewohnerinnen und Bewohner ins Lebensgefahr bringt. Wir nutzen die Bauordnung und das Wohnraumstärkungsgesetz, um Recht und Gesetz durchzusetzen, menschenunwürdige Unterkünfte aufzulösen und Menschen zu schützen“, sagt Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung. Die Ministerin hatte sich bei der Kontrollaktion einer Sammelunterkunft am 12. Februar 2022 selbst ein Bild vor Ort gemacht.
Eine kontrollierte Unterkunft wurde sofort geräumt. Dort lag eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Bewohner vor. In einer weiteren kontrollierten Unterkunft musste das Dachgeschoss sofort im Rahmen der Aktion geräumt werden. Die 21 betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden in sichere Notunterkünfte gebracht und müssen nun von dem verantwortlichen Leiharbeitsunternehmen angemessen untergebracht werden. Andernfalls übernimmt der Staat die Unterbringung und stellt die Kosten dem Leiharbeitsunternehmen in Rechnung.
Die weitere Auswertung der Behörden ergibt zudem, dass es in nahezu allen Räumen der geprüften Unterkünfte Schimmelbefall gab. In einer Unterkunft war die elektrische Versorgung insgesamt sehr mangelhaft, in den anderen Unterkünften lagen jeweils vereinzelte Missstände in Bezug auf die elektrischen Anlagen vor. Die sanitären Anlagen waren unzureichend – in einem Fall gar nicht mehr – benutzbar. Eine Unterkunft war ohne Heizung und warmes Wasser. Vier der sechs Sammelunterkünfte waren von Schädlingen wie Kakerlaken und Ratten befallen, zudem gab es Vermüllung in und außerhalb der Gebäude. In einem Fall musste ein illegal eingeführter Kampfhund durch das Veterinäramt abgeholt und in Quarantäne gesetzt werden.
„Um die Kommunen im Kampf gegen ausbeuterische Unterbringungen in den Fahrersitz zu setzen, besteht für Unterkünfte seit dem Wohnraumstärkungsgesetz eine Anzeigepflicht bei den Gemeinden. Zugleich haben sie ein Betriebskonzept vorzulegen. Wenn Vorschriften für Unterkünfte nicht eingehalten werden, kann auch eine Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro verhängt werden“, sagt Ministerin Scharrenbach.
Die deutschen Strafverfolgungsbehörden prüfen zugleich, ob die hohen Mieten, die die eingeschleusten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pro Matratze zahlen, strafrechtlich verfolgt werden können. Denn Mieten von 400 Euro pro Bett und Gesamtmieten von bis zu 8.400 Euro für ein Einfamilienhaus in miserablem Zustand übersteigen das ortsübliche Maß um ein Vielfaches. Die Unerfahrenheit und Zwangslage der Betroffenen wird dabei skrupellos ausgenutzt.
Im Rahmen der Kontrollaktion wurden auch Unterschlagungen von Lohnzahlungen aufgedeckt. Bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, wird regelmäßig trotz geleisteter Arbeit für den letzten Beschäftigungsmonat kein Lohn mehr gezahlt. Zudem kam heraus, dass den Arbeitsmigrantinnen, die während des Aufenthaltes schwanger wurden, das Arbeitsverhältnis einseitig durch die Leiharbeitsunternehmen entgegen niederländischen Rechts beendet wurde und die werdende Mutter ins Heimatland gebracht wurde.
Auf der niederländischen Seite geht der staatliche Arbeitsschutz den Verstößen gegen Mindestlohn, zu hohe Einbehaltungen von Lohn für die Miete und den abgenötigten Arbeitszeitverletzungen ebenfalls nach. Hier stehen Bußgelder von bis zu 100.000 Euro im Raum. Auch die niederländischen Strafverfolgungsbehörden werden prüfen, ob Straftaten nach niederländischem Recht zu ahnden sind.
Das Aufkommen von derartigen kriminellen Strukturen ist auch auf das Melderecht des Bundes zurückzuführen. Weil aufgrund einer melderechtlichen Sondervorschrift in den ersten drei Monaten keine Anmeldung in Deutschland erfolgen muss, wissen die Kommunen oft überhaupt nicht, welche und wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland bei ihnen leben. Sie können daher auch nicht ohne weiteres sicherstellen, dass Brandschutzvorschriften, die Vorschriften der Bauordnung NRW, des Wohnraumstärkungsgesetzes NRW oder die Anforderungen an die Unterbringung nach dem Arbeitsschutzgesetz eingehalten werden. Bei den Kontrollen wurden dementsprechend auch mindestens 73 Personen angetroffen, die in Deutschland nicht angemeldet waren.
„Diese Schlupflöcher muss der Bundesgesetzgeber schnellstens schließen. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen können sich durch die Verordnung zum Wohnraumstärkungsgesetz NRW zwar an die Unterkunftsbetreiber wenden, um Bewohnerlisten zu erhalten. Die hierdurch gewonnenen Informationen stehen aber anderen Stellen aufgrund des Bundesmelderechts nur eingeschränkt zur Verfügung. Wenn das Melderecht Arbeitgeber mehr in die Pflicht nehmen würde, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzumelden, könnten auch Bußgelder für Zuwiderhandlungen verhängt werden“, so Ministerin Scharrenbach.
In den Niederlanden sind zudem Lohnabzüge für Miete und Gesundheitsfürsorge nur bis zu 25 Prozent zulässig und auch nur dann, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern angemessene Wohnbedingungen bietet. Diesbezügliche Verstöße gegen niederländisches Recht sind wegen der in Deutschland befindlichen Unterkünfte und arbeitsvertraglichen Unterlagen für die niederländischen Behörden schwer überprüfbar.
Das Vorgehen der Leiharbeitsunternehmen kann aufgrund des Melderechts des Bundes deshalb nur begrenzt unterbunden werden. Vor allem der auf deutscher Seite günstigere Wohnraum hat die Leiharbeitsunternehmen dazu verleitet, die in den Niederlanden beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf deutscher Grenzseite unbemerkt und zu überteuerten Mieten unterzubringen und dabei selbst im Wesentlichen unbehelligt zu bleiben.
„Die grenzübergreifende Zusammenarbeit soll dem Treiben der Leiharbeitsfirmen jetzt zunehmend den Riegel vorschieben. Die Landesregierung wird dazu ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen und die gewonnenen Erkenntnisse dahingehend prüfen, inwieweit Anpassungen der gesetzlichen Bedingungen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit noch weiter verbessert und verzahnt werden können. Der erste wichtige Schritt ist gemacht, weitere werden folgen.“, sagt Ministerin Scharrenbach.
Hintergrund:
- Über 100 Personen wurden bei den Kontrollen am 12. und 13. Februar 2022 von je 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlicher deutscher und niederländischer Behörden im Rahmen der Kontrollaktion kontrolliert und über ihre Schutzrechte aufgeklärt. Neben einer Vielzahl von kommunalen Behörden, wie Bauaufsicht, Wohnungsaufsicht, Ordnungsamt, lokale Feuerwehr und Gesundheitsamt, war auch der Arbeitsschutz der Bezirksregierung Düsseldorf, die Steuerfahndung sowie der staatliche niederländische Arbeitsschutz beteiligt. Für die Sicherheit der insgesamt 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sorgten Aufgebote der Kreispolizeibehörde Kleve und der Bundespolizei. Die Kontrollaktion wurde vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen initiiert und koordiniert.
- Mit dem Wohnraumstärkungsgesetz, welches zum 1. Juli 2021 in Kraft getreten ist, stehen den Kommunen erstmals umfangreiche Instrumente gegen den Kampf von Wohnungsverwahrlosungen und/oder menschenunwürdige Unterbringungen zur Verfügung.
- Das Ministerium für Heimat Kommunales, Bau und Gleichstellung hat zudem parallel dazu Strukturen für eine koordinierte Zusammenarbeit mit den Niederlanden entwickelt. Nun erfolgte die Kontrollaktion auf deutschem Boden. Den Grundstein für die durchgeführten Maßnahmen wurden im Dezember 2020 im Rahmen der Regierungskonsultationen mit den Niederlanden gelegt.
- Nach § 7 Absatz 3 des Wohnraumstärkungsgesetzes NRW haben Verfügungsberechtigte die Einrichtung einer Unterkunft außerhalb eines Betriebsgeländes vor deren Inbetriebnahme der Gemeinde anzuzeigen. Zugleich haben sie ein Betriebskonzept vorzulegen. Die oder der Verfügungsberechtigte beziehungsweise eine beauftragte Person hat darüber hinaus zur Sicherstellung eines geordneten Betriebs oder einer geordneten Nutzung ständig erreichbar zu sein. Dies gilt auch für bestehende Unterkünfte. Werden die Unterkünfte nicht, verspätet oder unvollständig nachkommt, handelt ordnungswidrig. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfhunderttausend Euro geahndet werden. Die Einzelheiten wurden in der Verordnung zum Wohnraumstärkungsgesetz geregelt, so dass die Betreiber von Unterkünften ihre Pflichten ersehen können. Nach Paragraf 2 Absatz 5 ist dort zum Beispiel vorgesehen, dass Betreiber bestehender Unterkünfte diese zum 31. März 2022 unter Beifügen des Betriebskonzeptes der zuständigen Gemeinde anzuzeigen haben.
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