Staatspreis an Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel

Transkription

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr verehrte Frau Dr. Merkel,

lassen Sie mich beginnen mit einem Ereignis, das gerade uns in Nordrhein-Westfalen sehr bewegt hat. Es war im Sommer 2021. Die verheerende Flut. Alle werden sich erinnern. Die Bilder stehen sofort wieder vor Augen. 49 Menschen haben ihr Leben verloren. Zehntausende ihr Hab und Gut. Ihr Zuhause. Es war und ist die größte Katastrophe in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Angela Merkel war damals vor Ort. Die Bundeskanzlerin. Sie hat sich Zeit genommen. Für die Menschen. Sie hat zugehört. Und den Betroffenen versichert: Das ganze Land steht in dieser großen Not an Eurer Seite.

Angela Merkel hat damals Vertrauen geschaffen. Wieder einmal. Wie so oft in ihrem politischen Wirken. Durch ihre Präsenz. Ihre Nähe zu den Menschen. Durch Worte und Taten. Durch Politik, die etwas verändert. Angela Merkel hat mit dafür gesorgt, dass ein Wiederaufbaufonds eingerichtet wurde. In nur acht Wochen. Mit 30 Milliarden Euro.

Und sie hat damals versprochen: Ich komme wieder. Heute war es soweit. Sie hat heute Bad Münstereifel besucht. Eine Stadt und ihre Menschen, die schwer von der Flut betroffen waren. Wir waren eben dort. Versprochen. Gehalten!

Liebe Angela Merkel, dies ist nur ein Beispiel für Ihre Verlässlichkeit. Dafür sagen wir in Nordrhein-Westfalen Ihnen von Herzen: Danke!

Versprochen. Gehalten. Führung gezeigt. Verantwortung übernommen. Auch darum geht es heute. Ich freue mich über so viele besondere Gäste, die heute der Einladung gefolgt sind. Und möchte einige persönlich begrüßen: Sehr verehrte Frau Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, sehr verehrte Frau Präsidentin Christine Lagarde, sehr geehrter Herr Bundesminister Professor Karl Lauterbach – herzlich willkommen! Sehr geehrter Herr Landtagspräsident André Kuper – ich begrüße Sie sehr herzlich gemeinsam mit den Abgeordneten des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Und auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlamentes. Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Henriette Reker - schön, dass wir uns heute hier in Köln treffen – und dass so viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den Kommunen heute mit dabei sind. Mein herzliches Willkommen gilt auch meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Landeskabinett. Und den früheren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen: Peer Steinbrück, Jürgen Rüttgers und Armin Laschet.

Und mein herzliches Willkommen gilt auch Ihnen, liebe Frau Clement. Ich darf viele Mitglieder unseres konsularischen Korps begrüßen. An der Spitze Herrn Doyen Jakub Wawrzyniak und Herrn Vizedoyen Claus Gielisch. Sowie die zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Glaubensgemeinschaften. Und wenn Nordrhein-Westfalen seinen Staatspreis verleiht, dann sind auch ehemalige Staatspreisträger zahlreich unter den Gästen – herzlich willkommen Ihnen allen. Ich sehe auch zahlreiche Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter von Angela Merkel. Allein vier ehemalige Kabinettsmitglieder. Helge Braun, Hermann Gröhe, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – und Peer Steinbrück gehört auch in diese Reihe.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen hier in der Kölner Flora. Dieser Ort steht auch in Verbindung zu unserer Staatspreisträgerin. Aber dazu komme ich später. Liebe Angela Merkel, es ist mir eine Freude und eine Ehre, Sie heute auszeichnen zu dürfen. Und es freut mich sehr, dass Sie, liebe Christine Lagarde, zu uns gekommen sind und die Laudatio halten werden. Ihnen allen: herzlich willkommen! Schön, dass Sie da sind!

Der Staatspreis ist die höchste Auszeichnung unseres Landes. Er wurde 1986 von Ministerpräsident Johannes Rau anlässlich des 40. Geburtstags unseres Landes gestiftet. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten, die herausragende Leistungen erbracht haben und Nordrhein-Westfalen durch Werdegang und Wirken verbunden sind. Eines ist mit dem Staatspreis nicht verbunden: eine Heiligsprechung. In 16 Jahren Kanzlerschaft und über drei Jahrzehnten bundespolitischem Engagement hat unsere diesjährige Staatspreisträgerin unzählige Entscheidungen getroffen.

Es ist legitim, Entscheidungen kritisch zu sehen. Zu hinterfragen. Bei der rückblickenden Beurteilung muss man sich immer die Frage stellen: Unter welchen Voraussetzungen wurde diese Entscheidung getroffen? Und hätte es wirklich einen besseren Weg gegeben? Wer Politik kennt, wer Politik macht, der weiß: Entscheidungen fallen unter Druck. Oft ist die beste Lösung keine Option – weil sie gar nicht erst erreichbar ist.

Da kommt es umso mehr darauf an, dass Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus getroffen werden, sondern mit Verstand, auf Basis von Fakten und Argumenten. Und mit der klaren Verantwortung für die Folgen der Entscheidung.

Wer sich mit politischen Wegbegleitern von Angela Merkel unterhält, ob in Deutschland, Europa oder darüber hinaus, der hört unisono: Genauso hat Angela Merkel agiert. So hat sie regiert. Und so hat sie sehr viel bewegt und erreicht. Genau deshalb ehren wir sie und ihr politisches Wirken heute mit dem Staatspreis Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte heute kurz über drei Themen sprechen: Erstens über Angela Merkels Weg ins Kanzleramt. Zweitens darüber, wie Angela Merkel als Bundeskanzlerin Deutschland geführt und geprägt hat. Und drittens darüber, was das mit Nordrhein-Westfalen zu tun hat.

Weg ins Kanzleramt

Über Jahrzehnte hinweg war Angela Merkel eine prägende Persönlichkeit der bundesdeutschen, der europäischen und der internationalen Politik. Sie wurde zu einem Vorbild für viele. Und zu einem Vorbild für viele Frauen nochmal ganz besonders. Es gibt eine Geschichte, an die ich hier erinnern möchte: Es war 2006, die Fußball-WM in Deutschland. Und Angela Merkel schickte „unsere Jungs“ mit ihrem ganz eigenen Humor und mit ihrem ganz eigenen Anspruch an Leistung und Disziplin in das Turnier. Sie sagte damals: „Die Frauen-Fußball-Mannschaft ist ja schon Weltmeister. Und ich sehe keinen Grund, warum nicht Männer das gleiche leisten können wie Frauen.“

Was für ein Glück, dass mit Angela Merkel eine Frau in das Kanzleramt einzog. Endlich! Sie hat unser Land auf vielfältige Weise geprägt. Aber ganz besonders hat sie Frauen Mut gemacht. Angela Merkel hat einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass eine neue Generation in dem Bewusstsein aufgewachsen ist: Ja, Frauen können genau so selbstverständlich wie Männer an der Spitze stehen. In der Politik – und in allen anderen Bereichen unserer Gesellschaft. Ich bin überzeugt, auch alle Männer hier in der Flora sagen dafür: Danke!

Dabei war der Weg von Angela Merkel ins höchste Regierungsamt, zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands nicht vorgezeichnet. Als Angela Merkel nach der Wiedervereinigung in den Bundestag einzog, war Politik eine überwiegende Männer-Domäne. Als sie dann 1991 in Bonn Bundesministerin für Frauen und Jugend wurde, haben viele politische Beobachter gedacht und nicht wenige auch geschrieben: Da brauchte Kohl wohl noch eine Frau und eine Ostdeutsche im Kabinett. Das ist eine chancenlose Außenseiterin. Die wird hier nicht Fuß fassen.

Es waren jene Journalisten der Bonner Republik, die die Ministerinnen Angela Merkel, Gerda Hasselfeldt und Hannelore Rönsch als „Dreimäderlhaus“ bezeichneten. Oder die junge Angela Merkel als „Kohls Mädchen“. Selbst Jahrzehnte später wurde ihr von einem – durchaus renommierten – Journalisten noch attestiert, „keine geborene, sondern eine angelernte Bundesdeutsche und Europäerin“ zu sein.

Angela Merkel stand in all der Zeit und in diesem Umfeld „ihre Frau“ und ließ sich nicht beeindrucken, nicht einschüchtern, nicht kleinmachen. Vielleicht hat sie all das noch stärker gemacht. Oder sie war immer schon besonders stark. In jedem Fall hatte Sie einen geradezu siebten Sinn für das Machbare und das Mögliche. Sie ging ihren Weg, der sie bis ins Kanzleramt führte. Und das: Ohne Netzwerk aus der Jungen Union, ohne so genannte Hausmacht, ohne Seilschaft auf den Gipfel. Nicht nur Bergsteiger wissen: Das allein ist eine Leistung, die großen Respekt und Anerkennung verdient.

Politisches Wirken

Als erste Bundeskanzlerin führte Angela Merkel 16 Jahre lang die Geschicke unseres Landes – mein zweites Thema. In der Zeit ihrer Kanzlerschaft war die Welt voller Krisen und Umbrüche. Angela Merkel hat unser Land – und auch die Europäische Union – sicher und kraftvoll durch diese Krisen navigiert. Einige Beispiele:

Die Weltfinanz– und Bankenkrise 2008. Es gelang ihr gemeinsam mit verantwortungsvollen Partnern in Europa und der Welt, die schlimmsten Folgen abzufedern und die Wirtschaft wieder zu stabilisieren. Angela Merkel versprach der sorgenvollen Bevölkerung, dass ihre Einlagen sicher sind. Wir erinnern uns an den gemeinsamen Auftritt mit Peer Steinbrück. Sie schaffte Vertrauen und beruhigte so die angespannte Lage. Mit Partnern in Europa und der Welt konnte sie die schlimmsten Folgen der Finanzkrise abfedern und die Wirtschaft konnte sich stabilisieren.

Dann folgte die Euro-Krise. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ war das Credo von Angela Merkel. Damals stand nicht nur die gemeinsame Währung, sondern der Zusammenhalt der EU auf dem Spiel. Die Begleiter aus der damaligen Zeit werden sich erinnern: Endlose Verhandlungen, viele Nächte, kräftezehrend.

Weder der Euro zerbrach, noch Europa. Auch Dank Angela Merkels Beharrlichkeit und ihrer Fähigkeit, auf andere zuzugehen und gemeinsame Wege zu finden.

Eine dritte Herausforderung als Beispiel für ihr politisches Handeln aus Überzeugung: 2015 hat sich Angela Merkel den Abschottungstendenzen in Europa entgegengestellt. Sie entschied damals, Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Und zwar aus christlicher Überzeugung, mit Mut, aus Menschlichkeit.

Ein entscheidender Moment hat sich übrigens hier in der Kölner Flora abgespielt. Es war der 4. September 2015. Die CDU Nordrhein-Westfalen feierte ihr 70-jähriges Bestehen. Genau hier. Angela Merkel war dabei und hielt die Festrede. Und danach führte sie ein Telefonat. Der österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann war dran. Er berichtete: Der ungarische Ministerpräsident Victor Orban habe ihn vor die Entscheidung gestellt, Flüchtlinge an der ungarisch-österreichischen Grenze gewaltsam zu stoppen oder durchzulassen.

Für die deutsche Kanzlerin und den österreichischen Kanzler war klar: Gewalt an innereuropäischen Grenzen durfte es nicht geben. Die Grenzen bleiben offen. Eine Entscheidung, die neue Herausforderungen mit sich brachte. Keine Frage. Außer Zweifel aber steht: Es war eine Entscheidung aus Führung und Verantwortung – ein großer Akt der Humanität.

Und ein letztes Beispiel für das verantwortliche politische Handeln von Angela Merkel: Die Corona-Pandemie. Die vielleicht größte Herausforderung ihrer Kanzlerschaft. Auch hier ging es ihr nur um eines: Das Beste für die Menschen im Land. Ob das gelingen würde, lag aber nicht nur an ihr allein. Wahrscheinlich hätte sie die Pandemie am liebsten in langen Nächten wegverhandelt. Aber ein Virus ist kein Verhandlungspartner. Dieses Virus war eine Gefahr. Und es kam auf uns alle an. Auf jeden von uns.

Also sprach Angela Merkel zu uns allen. Wir haben die Fernsehansprache sicher noch vor Augen. Ihre Worte im Ohr: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Die Menschen wussten: Wenn Angela Merkel so zu uns spricht, dann ist es wirklich ernst. Hier ging es mehr denn je um Vertrauen. Und Angela Merkel hatte es. Das Vertrauen der Menschen im Land. Sie hat Führung gezeigt, Stärke. Die Menschen erreicht.

Dass Deutschland vergleichsweise gut auch durch diese Krise gekommen ist, ist in besonderer Weise das Verdienst Angela Merkels.

Auch dank ihrer Beharrlichkeit und ihres Verhandlungsgeschicks konnte der deutsche Föderalismus dabei seine Stärke ausspielen. Die bei der Pandemiebekämpfung überwiegend zuständigen Länder sind zusammengeblieben, haben gemeinsame Leitplanken entwickelt und gleichzeitig auf regionale Unterschiede reagiert.

Im Kreise der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten genoss Angela Merkel große Wertschätzung. Denn sie ist den Ländern auf Augenhöhe und mit dem Ziel gegenübergetreten, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Auch hier hat sie echte Führung gezeigt und Verantwortung übernommen.

Angela Merkel konnte führen und Verantwortung übernehmen, vor allem weil das Vertrauen in sie groß und ungebrochen war. Jeder spürte ihr echtes Interesse an den Menschen, ihren Sorgen, ihren Nöten, ihren ganz unterschiedlichen Biografien und Schicksalen. Und deshalb legten die Menschen – auch hier in Nordrhein-Westfalen – die Geschicke unseres Landes immer wieder in die Hände von Angela Merkel.

Angela Merkel und Nordrhein-Westfalen

Mein drittes Thema ist Angela Merkel und Nordrhein-Westfalen. Angela Merkel ist unserem Land durch ihren Werdegang und ihre Arbeit eng verbunden. Hier in Nordrhein-Westfalen, in Bonn, tief im Westen der Republik, hat sie wichtige Schritte ihrer politischen Karriere gemacht. Als Angela Merkel am 2. Dezember 1990 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, kam sie hierher. Sie bezog eine Wohnung in Bad Godesberg und wanderte in freien Stunden gerne mit ihrem Mann durch das Siebengebirge – ihrer „Berg-ab-Phobie“ zum Trotz. Hier fand sie Freunde und Wegbegleiter – durch ihr persönliches und ihr politisches Leben.

Liebe Angela Merkel, Sie haben später immer wieder betont, wie schön diese Zeit für Sie war. Zugleich haben Sie in einer bemerkenswerten Rede zum Tag der Deutschen Einheit im Jahr 2021 nicht nur daran erinnert, dass wir alle die Wiedervereinigung dem mutigen Handeln der Ostdeutschen zu verdanken haben. Sondern auch daran, was diese Zeit für Ostdeutsche – und für Sie als Ostdeutsche im Westen – bedeutete:

Ich zitiere: „Bis heute – davon bin ich überzeugt – wird zu wenig gesehen, dass die Wiedervereinigung für die allermeisten Menschen in Westdeutschland im Wesentlichen bedeutete, dass es weiterging wie zuvor, während sich für uns Ostdeutsche fast alles veränderte: Politik, Arbeitswelt, Gesellschaft. Wer in seinem Leben vorankommen wollte, musste sich natürlich mit verändern.“

Sie beschrieben, wie letztlich das Zusammenwachsen zu Deutschlands großer Stärke führte. Ich zitiere weiter aus Ihrer Einheitsrede: „Es ist ja vor allem dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, aus dem Veränderungsbereitschaft und Solidarität erwachsen. Beides half uns über die Mühen der Wiedervereinigung hinweg. Beides half uns auch große Herausforderungen in den Folgejahren zu bewältigen.“

Auch nach dem Umzug der Bundesregierung und des Bundestages nach Berlin sind sie unserem Land eng verbunden geblieben. Und die Menschen in Nordrhein-Westfalen Ihnen. Besonders dankbar ist unser Land, dass Sie, liebe Angela Merkel, in den 16 Jahren Ihrer Amtszeit die Grundlagen stabilisiert haben, die uns alle tragen.

Nordrhein-Westfalen lebt Europa. Wir sind wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch aufs engste mit unseren Nachbarn verflochten. Und wir haben enge Verbindungen in die ganze Welt. Von der Verantwortung und der Führung, die Sie in Deutschland, Europa und der Welt übernommen haben, haben wir in Nordrhein-Westfalen deshalb besonders profitiert.

Liebe Angela Merkel, auch für uns in Nordrhein-Westfalen haben Sie Kurs gehalten. Kurs in Richtung Stabilität, Solidarität, Europäische Einbettung und Weltoffenheit.

„Die größte Überraschung meines Lebens war die Freiheit“ – das sagten Sie bei Ihrer Antrittsrede als Bundeskanzlerin. Sie kennen den Wert der Freiheit. Und Sie haben Ihre Freiheit genutzt, um sich über Jahrzehnte in den Dienst unseres Landes zu stellen. Um sich der Demokratie zu verschreiben. Und um sich für das Wohl der Menschen einzusetzen. Dafür sagen wir Ihnen hier und heute von Herzen: Danke!

Mediendetails

Datum 16.05.2023

Dateityp Video

Dauer 20:06