50 Jahre nach der Demo von Münster: Grundgesetz ändern!
Gastbeitrag von Ministerpräsident Hendrik Wüst bei "queer.de"
Der Mut und die Courage der Menschen, die vor 50 Jahren in Münster auf die Straße gingen, sind Auftrag an uns heute, den gesellschaftlichen Weg zu voller Akzeptanz und Gleichberechtigung konsequent weiterzugehen. Ein Gastbeitrag von Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen.
1972 – das war eine politisch sehr bewegte Zeit, auch und gerade im Kampf gegen die Diskriminierung Homosexueller. Zwar waren die schlimmsten Repressionen durch den Paragrafen 175 StGB bereits 1969 abgeschafft worden. Dennoch wurden Schwule, Lesben, Bisexuelle, trans- oder intergeschlechtliche Menschen immer noch an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und massiv diskriminiert. Tausenden von Menschen ist in dieser Zeit und danach großes Unrecht widerfahren. Dieses Unrecht muss uns alle mit Scham erfüllen.
Heute, im Jahr 2022, hat es für die überwältigende Mehrheit der Deutschen dagegen keinerlei Bedeutung mehr, wer wen liebt. Für mich ist klar: in einer demokratischen, offenen Gesellschaft muss auch die Liebe frei sein! Ein Staat, der sich in die sexuelle Identität oder Orientierung seiner Bürgerinnen und Bürger einmischt, ist ein übergriffiger und unfreier Staat.
Meilenstein für die queere Bewegung
Führt man sich vor Augen, was die LSBTIQ* Community seit der Münsteraner Demonstration vor 50 Jahren im Kampf für ihre Rechte erreicht hat, wird einem klar, mit welchen enormen Anstrengungen der Weg dorthin verbunden war. Münster 1972 war ein Meilenstein – nicht nur für die queere Bewegung in Münster, sondern bundesweit.
Reinhard Schmidt, der damals für die Demo aus Bochum nach Münster gereist war, sagte mir in einem Gespräch: "Diese Demo sollte ein Aufrütteln sein: Wir sind da und bleiben auch!" Nach Anne Henscheid und Rainer Plein, die damals die Demo federführend mitorganisierten, sind in Münster heute Straßen benannt. In diesem Jahr wird durch verschiedene Veranstaltungen an das besondere Jubiläum von Münster erinnert. Es ist ein guter Zeitpunkt, um für einen Moment stolz und zufrieden auf das Erreichte zurückzublicken. Ein Anlass, mit dem Engagement jetzt nachzulassen, ist es allerdings nicht.
Zusammen sind wir stark – Grundgesetz ergänzen
Denn noch immer werden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert und ausgegrenzt. Hier ist eines besonders wichtig: Solidarität! Wohl kaum eine gesellschaftliche Gruppe hat in den vergangenen 50 Jahren so deutlich erlebt wie die LSBTIQ* Community, was das heißt: "Zusammen sind wir stark!"
Die Unterstützung für die Community muss aber aus allen Teilen der Gesellschaft kommen. Die umfassende Verbesserung der Lebenssituation von LSBTIQ* Menschen in Nordrhein-Westfalen ist in einem modernen und weltoffenen Land eben kein Randthema, sondern ein wichtiger Grundsatz der Politik. Deshalb unterstütze ich die Idee, den Artikel 3 Absatz 3 unseres Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität zu ergänzen.
Anderen Mut machen, sich Gehör zu verschaffen
Viel hat sich seit der Demo von Münster verändert. Aber auch heute kommt es noch auf das Engagement jedes Einzelnen an, um volle Gleichberechtigung zu erreichen. Den vielen Ehrenamtlichen, die durch Beratung, Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit ihren Beitrag dazu leisten, danke ich anlässlich diese Jubiläums ganz besonders. Ihr Engagement ist unverzichtbar, weil es anderen Mut macht, sich Gehör zu verschaffen.
Lassen Sie uns gemeinsam den Kampf für Gleichberechtigung und Teilhabe weiterführen. Lassen Sie uns gemeinsam sichtbar machen, dass queeres Leben in unserem Land heute freudvoll, selbstbestimmt und selbstverständlich ist! Unser Nordrhein-Westfalen ist vielfältig und bunt. Darauf sollten wir stolz sein: jeden Tag. So stolz wie auf jene Frauen und Männer, die am 29. April 1972 in Münster mutig und couragiert für eine offene und tolerante Gesellschaft auf die Straße gingen.
Gastbeitrag bei "queer.de": https://www.queer.de/detail.php?article_id=41863